Ringvorlesung und Party: Hamburg 7.7.09

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Im Rahmen der Ringvorlesung „Medien & Bildung“ an der Universität Hamburg: BEAUTY IS THE NEW PUNK. Kontrolle und Kontrollverlust im Zeitalter der Postironie. Performativer Vortrag mit Com&Com/Johannes M. Hedinger (Zürich) und Theresa Rieß (Kassel).

Dienstag, 07.07.09
18:15 – 19.45 Uhr, Von-Melle-Park 8, Raum 504, Hamburg

Anschließend: POSTIRONISCHE PARTY
ab 21:00 Uhr, Astra-Stube, Max-Brauer-Allee 200, Hamburg

Seminar zur Postironie

Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks hat der postironische Kopfverband an der Universität Hamburg ein Seminar angeboten. Natürlich ging es dabei um Postironisches. Wir haben mit einer Gruppe von 16 Menschen das postironische Manifest gelesen und diskutiert.

Wir stellten fest, daß ein Manifest selbstbezüglich ist und einen Standort bestimmen möchte. In unserem Fall heißt das, dass das Manifest selbst zum Zweifeln anregen muss. Alle waren sich einig, dass es dies bewirkt, denn es ist soweit Sinn entleert, dass man sich Gedanken machen muss, wo Sinn entstehen kann.

Desweiteren stellten wir fest, dass das postironische Manifest nichts feststellt, also nichts starr festmacht, sondern der Vielfalt und den Möglichkeiten Raum gibt. Dabei passiert es, dass feste Kategorien angelöst werden, aufgelöst werden und Grenzen verschwimmen.

In dieser Bewegung kann Raum entstehen. Raum für: Schönheit, Wahrheit, Liebe. Das zeugen von Schönheit würde dann immer mehr Schönheit zeugen.

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Was ist Postironie? – (Definitionsversuch)

Eine der wenigen Tatsache von universaler (ethischen) Bedeutung in der aktuellen Welt ist die allgegenwärtig wachsende Einsicht, dass es so nicht wirklich weitergehen kann. Was kommt nach der globalen Krise, dem Zusammenbruch der alten Weltanschauung und dem einhergehenden kulturellen Wandel?
Wie viele suchen wir nach Alternativen, nach einer neuen Sprache und neuen Bilder.

Wir verstehen Postironie als Übungsfeld und Entwurf für eine Welt, in der sich eine neue vereinte globale Kultur und ein weltoffenes Stammessystem zu formieren beginnt, in der Gattungen gemischt und Ordnungen durchbrochen werden.

Postironie steht für:
– Wandel und Hoffnung auf eine bessere Welt, die weitgehend frei von Sarkasmus und Zynismus ist.
– Emotionalität und Mut zum Pathos und grossen Gefühlen.
– Authentizität, Direktheit und Nähe.
– ein Comeback des Realen, des Einfachen und den Zauber des Alltags.
– die Feier des Lebens, die Schönheit, die Liebe und die Wahrheit.
– ganzheitliche, emotionale wie spirituelle Nachhaltigkeit und Verantwortung.
– das Selbsterschaffen von Leben und Gemeinschaften im Namen der Selbstdarstellung, der Kollaboration und Partizipation.
– völlige Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit.

Ironie und Virtualität

Kann man eigentlich sagen, dass Ironie irgendwie virtuell ist? – In dem Sinne, dass der Ironiker die Dinge nicht so ganz nah an sich heranlässt und immer einen virtuellen Abstand zur Welt hält? Quasi aus einer zweiten, anderen Welt heraus auf die Dinge der ersten blickt?
Prä-ironische Haltungen wären demgegenüber einem naiven Realismus zuzuordnen: Der Prä-Ironiker ist inmitten der Welt und der Dinge und denkt sich nichts dabei.
Auch der Post-Ironiker steht (wieder) mit beiden Füßen auf dem Boden, mitten im Realen (aber in einem anderen Realen), und sieht sich wieder im Sumpf des Irdischen (mit Betonung auf „wieder“). Er weiß vom Virtuellen, von der Distanz, der Ironie, dem Abstand zwischen dem Sein und dem Schein und kreiert daraus ein neues Sein (hinter dem Schein): Postironie als Realismus 2. Ordnung?

the postironic times (by Lee Konstantinou)

Zwischen 2005-2008 hat ein Englischstudent an der Stanford Uni (USA, SF) für seine Doktorarbeit einen Blog zum Thema „Postironische  Zeiten“ geführt. Und so startete er am 6.5.2005:

„So what’s the topic of my dissertation? I haven’t had my colloquium yet (that’s going to be in the fall), but I am narrowing in on „post-irony“ as a concept that might be particularly fruitful to explore. Since the early 1990s, and at an accelerated pace since 9/11, there have been a range of artistic efforts–from the Freedom Tower going up on Ground Zero to Chris Ware’s Jimmy Corrigan to Dave Eggers’s A Heartbreaking Work of Staggering Genius to Wes Anderson’s various movies to the many many brilliant episodes of This American Life--to reformulate the moral logic of earnestness in an ironic world. The artists engaged in this effort appreciate what irony (as a tool of cultural criticism and as a means of resisting the dominant culture) has let us do since the heyday of the counterculture, but they also desperately want to push beyond irony, and the negative critical methods of the counterculture, towards something else. Towards something postive, affirmative, or (at the very least) real. Put differently, all these artists are struggling to find a way, through art, to express deeply felt, often unbearable, emotions without seeming trite, cliched, or mainstream; yet they all seem somehow forced to use highly ironized and self-conscious means of doing so. The results are often odd but (almost) always interesting.“

Zur Idee der Postironie

Die Finanzkrise war nur der Sargnagel: nach dem Jahrzehnt der Dekadenz (Sloterdijk) ist die Wiederentdeckung des Einfachen und das Comeback des Realen nicht mehr von der Hand zu weisen. Nachhaltigkeit und Social Responsability sollen keine leeren Worthüllen mehr sein. Emotionalität, Authentizität und Wahrheit heissen die neuen Leitsterne.

In aller Ernsthaftigkeit wird zudem ein neuer romantischer Geist wiederbelebt, die Sehnsucht nach dem Schönen. Die Menschen haben wieder Hoffnung, glauben an die Zukunft und träumen von einer Utopie 2.0 – und die ist frei von Ironie und Sarkasmus.

Com&Com, einst selbst durch ironische Zitatwerke bekannt geworden, riefen für 2009 das Jahr der Postironie aus. Am Anfang steht programmatisch das postironische Manifest:

1. Wir leben im postironischen Zeitalter. Ironischer Zweifel ist nur noch zur Lebensart erhobene Unzufriedenheit.
2. Wir beginnen das Verfahren des Zweifelns anzuzweifeln.
3. Die Wahrheit ist nicht länger unbedingt, sondern vorübergehend, wie es dem augenblicklichen Zweck gerade dienlich ist.
4. Die Welt ist mehr als sie ist.
5. Das Alltägliche dient als Versuchsgelände für den menschlichen Geist.
6. Alles ist erfüllt von Zauber und Schönheit.
7. Schönheit kann uns dazu anregen, bessere Menschen zu werden.
8. Aus Schönheit kann Liebe erwachsen.
9. Aus der Liebe folgt Wahrheit.
10. Wir stehen an der Schwelle zu einer wunderbaren Sache: vor der Wiedergeburt unserer Selbsterschaffung. Postironie meint völlige Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit.