Im Ernst

(aus dem Ausstellungskatalog „Neues Rheinland. Die postironische Generation„)

Im Ernst
von polemischer Ironie zu postironischer Vernetzung in der Kunst des Rheinlands und überhaupt

von Jörg Heiser

Sigmar Polke fällt einem gleich als erstes ein als ein abwesender Vater der Ironie in der Gegenwartskunst. Abwesend nicht, weil er erst kürzlich und zu früh gestorben ist, sondern weil es für Polke aus zwei Gründen schier unmöglich gewesen wäre, eine solche Vaterschaft anzuerkennen: weil Ironie das offene Bekenntnis zur ironischen Haltung nicht verträgt, den Restzweifel braucht (ist es etwa doch eins-zu-eins ernst gemeint?); und weil dies genau das patriarchale Muster wiederholt hätte, an dem sich Polkes Ironie einmal entzündet hatte. Kaum eine Arbeit Polkes aus den Sechziger Jahren stellt diesen Entzündungsherd so deutlich und buchstäblich vor Augen wie Vitrinenstück von 1966. Um diese Arbeit soll es ausführlicher gehen, bevor weitere exemplarische Werke von Rosemarie Trockel und jüngeren Künstlern der Gegenwart (Monika Stricker, Alexandra Bircken, Manuel Graf) ins Spiel kommen. Was ist der Unterschied zwischen Ironie der Sechziger und Postironie der Gegenwart? Die These ist, grob gesagt, dass dieser Unterschied den Wandel von einer polemisch konfrontativen Konstellation zur entpolemisierten Vernetzungskultur markiert.

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Eine Vitrine vor drei in leichtem Winkel zueinander aufgestellten Stellwänden – wie ein Altartisch vor Tryptichon mit aufgeklappten Flügeln. Die Vitrine ist von der musealen Sorte, in der man illuminierte Handschriften aufbahren würde; die Stellwände erinnern an Hinweistafeln auf deutschen Ämterfluren. Die formellen Konventionen verstaubter Institutionen also. Doch die Verlautbarung auf der rechten Tafel beinhaltet keine Hinweis auf Sprechstunden, sondern ist – in Versalien – als persönliches Bekenntnis formuliert: „Ich stand vor der Leinwand und wollte einen BlumenstrauSS malen. Da erhielt ICH von höheren Wesen den Befehl: Keinen BlumenstrauSS! Flamingos malen! Erst wollte ich weiter malen, doch dann wusste ich, dass sie es ernst meinten.“ „Im Ernst“ weiterlesen

Das Paradox Schönheit

Beauty. Schönheit. Der Zauber des Alltags. Authentizität. Eine bessere Welt. Will man sich mit diesen „postironischen“ Hintergrundthemen auseinandersetzen, so stößt man schnell auf die Ambiguität, die Dialektik  dahinter, welche in der letzten Hälfte des letzten Jahrhunderts zur Inflation der Ironie selber geführt hat.
Denn, mal ganz ehrlich, wer hier kann sagen was Schönheit ist? Versuchen wir mal eine naive, „ehrliche“ Herangehensweise, nur um sie mit Mut vor die Wand zu setzen.

CC by Flickr User manitou 2121
Durchschnitte aus Hot-or-Not Bildern, CC by Flickr User manitou 2121

Angefangen bei menschlicher Schönheit: Unbestreitbar wohl, dass wir schon naturgegeben eine Vorliebe für bestimmte Geischtsformen und Körperformen mitgegeben bekommen, wie viel kulturelle Prägung da auch immer mit enthalten sein mag, die Grundlage dafür liegt schon in unseren Genen. Als Mann, und weil es hier eindeutigere Forschungserkenntnisse und eindeutigere kulturelle Prägungen gibt, betrachte ich mal das „schöne Geschlecht“. Das weibliche Schönheitsideal setzt sich irgendwie aus dem Durchschnitt  zusammen.
Genau das führte dann aber zu dem „All American“ Schönheitswahn, dessen Gegenthese man im Postironischen Manifest und dem Definitionsversuch lesen könnte. Hand aufs Herz, sind Miss Universe und all die Playmates wirklich schön?
Liest man die begeisterten Blogartikel über Menschen wie Antony Hegarty, merkt man: Genau das ist hier nicht gemeint.
Und dies lässt sich weiterspinnen auf jeden irgendwie gearteten künstlerischen Bereich: Mit Schönheit meinen wir wohl kaum das Glatte, Perfekte, Vollendete. Auch wenn das in Ausnahmefällen schön sein kann. Es wird also klar: „Das Wahre, Schöne und Gute“ existiert in dieser Reinform gar nicht. So wie es kein eindeutiges Wahr und Falsch gibt, kein eindeutiges Gut und Böse, gibt es auch kein eindeutiges Schön und Häßlich. Diese Erkenntnis ist die Ursache der Inflation der Ironie.
Aber was meinen wir, was suchen wir dann, wenn hier von Schönheit geschrieben und geredet wird? „Das Paradox Schönheit“ weiterlesen

Inverview Project (presented by David Lynch)

David Lynch verblüfft immer wieder: nachdem sein letzter Film „Inland Empire“ für das normale Volk wohl doch etwas schwierig zu verstehen war, unterstütze er nun ein einfaches aber eindrückliches Internetprojekt, ganz ohne mystischen Doppeldeutigkeiten und Symbolik, und an Realitätsnähe kaum zu überbieten. strictly postironic.
Interview Project“ ist ein 70Tage und 25’000 Meilen road trip durch die USA. Entlang der Strecke wurden Leute interviewt. Sie erzählen ihre Geschichte. Lynch: „What I hope that people get out of „interview project“ is a chance to meet this people. it’s so fascinating. it’s human. you can’t stay away of it“. Bisher wurden 14 Episoden veröffentlich, jeden dritten Tag kommt eine neue Folge dazu bis zu No. 121. – Enjoy the journey.

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(Lynch wäre nicht Lynch wenn da doch nicht noch etwas irritieren würde: auf der selben Website kann man neben seinen Filmen auch noch seinen biologisch angebauten Kaffee kaufen, inkl. signierter Tasse.. )

Was ist Postironie? – (Definitionsversuch)

Eine der wenigen Tatsache von universaler (ethischen) Bedeutung in der aktuellen Welt ist die allgegenwärtig wachsende Einsicht, dass es so nicht wirklich weitergehen kann. Was kommt nach der globalen Krise, dem Zusammenbruch der alten Weltanschauung und dem einhergehenden kulturellen Wandel?
Wie viele suchen wir nach Alternativen, nach einer neuen Sprache und neuen Bilder.

Wir verstehen Postironie als Übungsfeld und Entwurf für eine Welt, in der sich eine neue vereinte globale Kultur und ein weltoffenes Stammessystem zu formieren beginnt, in der Gattungen gemischt und Ordnungen durchbrochen werden.

Postironie steht für:
– Wandel und Hoffnung auf eine bessere Welt, die weitgehend frei von Sarkasmus und Zynismus ist.
– Emotionalität und Mut zum Pathos und grossen Gefühlen.
– Authentizität, Direktheit und Nähe.
– ein Comeback des Realen, des Einfachen und den Zauber des Alltags.
– die Feier des Lebens, die Schönheit, die Liebe und die Wahrheit.
– ganzheitliche, emotionale wie spirituelle Nachhaltigkeit und Verantwortung.
– das Selbsterschaffen von Leben und Gemeinschaften im Namen der Selbstdarstellung, der Kollaboration und Partizipation.
– völlige Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit.

Cosmopolitan Tribalism

Cosmopolitan Tribalism from box1824 on Vimeo.

Ich möchte einfach dieses atemberaubende Video mit euch teilen. Habe selbst darüber auf meinem eigenen Blog geschrieben. Es fasst unseren Zeitgeist in knapp 3 Minuten zusammen. „blurring the boundaries between irony and truth“.

(gefunden via @DoppelM)

Rainbow Colors Inspired

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@DoppelM hatte es gestern getwittert: Eine Sammlung von über 80 „Rainbow Colors Inpired Photos and Images. Vielen Dank!!

A great author once describes a Rainbow as “one of the most spectacular light shows observed on earth” and we also feel the same…

Ironie und Virtualität

Kann man eigentlich sagen, dass Ironie irgendwie virtuell ist? – In dem Sinne, dass der Ironiker die Dinge nicht so ganz nah an sich heranlässt und immer einen virtuellen Abstand zur Welt hält? Quasi aus einer zweiten, anderen Welt heraus auf die Dinge der ersten blickt?
Prä-ironische Haltungen wären demgegenüber einem naiven Realismus zuzuordnen: Der Prä-Ironiker ist inmitten der Welt und der Dinge und denkt sich nichts dabei.
Auch der Post-Ironiker steht (wieder) mit beiden Füßen auf dem Boden, mitten im Realen (aber in einem anderen Realen), und sieht sich wieder im Sumpf des Irdischen (mit Betonung auf „wieder“). Er weiß vom Virtuellen, von der Distanz, der Ironie, dem Abstand zwischen dem Sein und dem Schein und kreiert daraus ein neues Sein (hinter dem Schein): Postironie als Realismus 2. Ordnung?

Jenseits der Ironie (von Wolfram Weimer)

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Jenseits der Ironie (first pubished in Cicero – Magazin für politische Kultur)

Das ironische Zeitalter geht zu Ende. Zwanzig Jahre hat es gedauert und jene Nische der Weltgeschichte ausgefüllt, die sich mit dem Fall der Mauer 1989 auftat und mit der Weltwirtschaftskrise 2009 wieder geschlossen hat. In dieser Nische bekam unsere Gesellschaft die Kontur einer TV-Dschungelshow – ihre Grundmetapher war das Spiel. In dieser Nische begegneten uns Gestalten wie Dieter Bohlen und die Simpsons. Man musste permanent „Jetzt mal im Ernst“ sagen, die Jugend wählte „echt“ und „cool“ zu Signaturvokabeln, weil alles unecht und lau geworden war. Selbst die Politik verstieg sich in Sprach- und Sachironie von „Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzen“.

Die Optimisten zogen im gut gelaunten Globalisierungs-Get-Together dieser Nische Haltungen wie Krawatten aus und schalteten (Kommunikation ersetzte schließlich Kontingenz) Handys wie Laptops ein. Die Weltwirtschaft schien ein spielerisches Monopoly. Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ war da. Das Fiktive und das Reale vertauschten sich, so dass vor lauter Vorstellung gar kein Wille mehr wirkte. Es war sogar egal. Hauptsache, die Stimmung blieb gut und Deutschland hatte einen Superstar.

Für Pessimisten war schon die schwindende biologische Kraft ein Indiz des Zerfalls. Die Europäer wollten sich einfach nicht mehr fortpflanzen. Man hatte keine Erben und keine Hinterlassenschaft, von Mission ganz zu schweigen. Denn der Schlüssel zu sich selbst schien versunken in einem Meer der Opportunitäten. Europa mutierte zum Disneyland seiner selbst. Die Ironie war bei alledem kein Trost der Ohnmächtigen, wie Herbert Marcuse einst wähnte. Sie wurde zum Schlüssel zur Selbstentmachtung. Das ironische Zeitalter sagte zu allem Ja und Amen – falls man noch wusste, was Amen hieß. Denn die Religion war erkaltet, die Kultur räusperte sich nur noch kühl, kommerziell und krächzend, und selbst die Politik spielte bloß ein Scrabble des Machbaren.

Dass die ironische Welt nun durch ein unwirkliches Spekulationsspiel mit Nullzinsgeldern an ihr Ende gekommen ist, wirkt wie ein ultimativer Witz. Subprime-Kredite lesen sich wie die letzten Visitenkarten einer gescheiterten Ironie.

Nun aber wird es buchstäblich ernst. Schon nach dem 11. September 2001 ahnte man, dass es viele gibt, die unser ironisches Spiel partout nicht mitspielen wollten. Die Finanzkrise ist der zweite Schlag der Ernsthaftigkeit. Denn jetzt hat es der ironische Westen nicht nur zu tun mit dem religiösen Furor der islamischen Welt, sondern auch dem Ehrgeiz aller anderen Aufsteiger. Ihre Kultur des Nominalismus steht unserer Ironie schroff entgegen. Und wir müssen uns entscheiden. Denn das Angebot der neuen Zeit ist bereits da: Es heißt Oligarchismus.

Der neue Oligarchismus kommt in vielen Gewändern daher, und er wird uns nicht nur ökonomisch herausfordern, sondern auch weltanschaulich. Ob es sich um eine parteiliche Oligarchie (China), eine geheimdienstliche Oligarchie (Russland) oder eine Clan-Oligarchie (Arabien) handelt, die Muster sind ähnlich. Immer entscheiden kleine, halbstaatliche Zirkel über die großen Machtinstrumente der Gesellschaft.

Unsere Überzeugung, dass Demokratie und Marktwirtschaft Zwillinge seien, dass offene Gesellschaften den Zwangsgesellschaften überlegen seien, ist erschüttert. Seit Jahren warten wir auf den Kollaps Chinas, auf den demokratischen Aufbruch der russischen Mittelschicht, auf die Revolutionen in Arabien. Doch nichts geschieht. Stattdessen zerfällt Amerikas Macht. Allen drei Varianten des Oligarchismus gelingt es hingegen, wirtschaftlichen Erfolg mit autoritärer Politik zu verbinden und damit eine Legitimation zu schaffen, die sich vom ironischen Westen durch Stabilität unterscheidet. Der Instrumentenkasten des neuen Oligarchismus ist stets staatskapitalistischer Natur. Und den kopieren wir im Westen bereits.

Der nächste Gezeitenwechsel vollzieht sich daher nicht nach europäischen Links-Rechts-Mustern, sondern nach einem globalen Systemwettbewerb autoritärer und liberaler Gesellschaftsordnungen. Die derzeitige Neigung in Europa, in der Krise die Rückverstaatlichung zu suchen, birgt eine große Gefahr. Denn damit geht Europa freiwillig einen Schritt in den Staatsfondsoligarchismus. Konzentrierte Macht in den Staatshänden Weniger wird nur mit Demokratieverlusten einhergehen können.

Das demokratische Europa aber ist gerade dadurch entstanden, dass es die Macht so weit wie möglich geteilt und in die Hände der Bürger gelegt hat. Systematische Verstaatlichungen würden die Umkehrung dieses Prozesses bedeuten, denn damit würden Gewalten konzentriert und eben nicht mehr geteilt. Statt der freien Gesellschaften entstünden oligarchische, halbstaatliche Cliquen- und Parteiennetzwerke.

Kurzum: Der ironisch gebrochene Westen ist nicht nur wirtschaftlich angeschlagen. Sein Traditionsspeicher leckt, aber so schwach, dass er nun oligarchischen Verlockungen verfällt, ist er hoffentlich noch nicht. Im Ernst nicht.

Wolfram Weimer