Text „Postironie. Geschichte, Theorie und Praxis einer Kunst nach der Ironie“,
published in: Kunstforum international, Jan/Feb 2012.
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„Wann werden wir endlich aufhören, uns dafür entschuldigen, romantisch zu sein? Warum nicht gleich? Hier und jetzt? Auf der Stelle. Wir bevölkern die Wüste mit singenden Bäumen und widerspenstigen Amseln. Wir lassen das zynische Lachen hinter uns und zögern nicht länger, naiv zu sein. Das Klischee ist kein Kitsch, es ist einfach schön. Also was meint ihr?
Bittere Zeiten lassen isch nicht mit einem Handschlag beenden. Der Zynismus ist eine zu mächtige Bastion, bewacht von Tausenden Armeen. Es braucht mehr als gute Worte. Einen Aufstand! Einen Orkan! Einen wahninnigen Lärm, der das Bewusstsein erschüttert. Und dennoch … Ich bezweifle, dass das allein riechen wird.“ aus: Camille de Toledo: Goodbye Tristesse (2005, S. 5; Orig-Titel: Archimondain Jolipunk, 2002)
Mit grad mal 26 Jährchen schrieb der Spross einer französischen Grossindustriellenfamilie (Danone etc) eine zornige Antwort auf „Generation Golf“, leidenschaftlicher und politischer. Goodbye Tristesse ist ein Gesellschaftsportrait und ein fiebriges Pamphlet über da Leben in den Zeiten der Globalisierung, die jede Form der Rebellion zu einem Teil des Marktes hat werden lassen. – Wie kann es sein, daß uns heute der Kauf eines neuen Billy-Regals mehr beschäftigt als die richtige Lebenseinstellung? Diese Frage stellt Camille de Toledo angesichts der allgemein vorherrschenden gesellschaftlichen Gleichgültigkeit. Für ihn kann einzig der Abschied vom Zynismus, hin zu einer neuen Form politischer Unschuld, die das Wagnis eines aufrichtigen Widerstands gegen die Zwänge des Kapitalismus eingeht. Dabei verknüpft er klug die verschiedensten Ansätze der letzten Jahre von Francis Fukuyama über Jean-Luc Godard bis Naomi Klein.
Goodbye Tristesse ist eine Analyse einer Generation, die zwischen Mauerfall und Einsturz der Zwillingstürme aufgewachsen ist, fordert einen neuen Mut politischen Handelns, eine «Romantik der offenen Augen«. Das Buch ist sowohl Kritik der Jahre, in denen Toledo erwachsen wurde – als auch Pamphlet für eine neue Geisteshaltung. Camille litt in den neunziger Jahren daran, dass er keinen Weg mehr sah zur Revolte. Weil alle um ihn beschlossen zu haben schienen, Zyniker zu sein. Er litt daran, weil sich das Kapital alles angeeignet hatte, auch die Kritik am Kapital, denn bunt und multikulturell kam dieser Kapitalismus daher, machte aus Che Guevara oder Marx Bildchen auf Kaffeetassen, aus jedem kämpferischen Slogan auf einer Hauswand einen Werbespruch für Nike. Camille de Toledo wünscht sich, dass man sich wieder traut, den Kapitalismus zu kritisieren. Er wünscht sich eine »semantische Guerilla«, die sich der Romantik und Poetik als Mittel des Protestes bedient. Wie sich dieser Protest formieren sollte, darüber hat er eher vage Vorstellungen: Er sympathisiert mit der Idee der Temporären Autonomen Zone – einer Idee des amerikanischen Anarchisten Hakim Bey –, wonach die gesellschaftlichen Regeln nur zeitlich und örtlich begrenzt außer Kraft gesetzt werden sollten. Camille de Toledos Buch ist keine Anleitung zur Revolution, kein politisches Manifest, sondern ein Bündel von Ideen.
Lesenswerter Artikel in der FAZ: Ironieforschung: Rhetorik als Beitrag zur Landesverteidigung
„Der Text war ursprünglich als Beitrag zu einer Ausschreibung des Rüstungs- und Technologiekonzerns Lockheed Martin eingereicht worden. Der drittgrößte Militärdienstleister der Welt hält an akademischen Einrichtungen regelmäßig nach vermarktungsfähigen Forschungsideen Ausschau. (…)
Graham Burnett, Professor für Geschichte, und Literaturdozent Jeffrey Dolven (…) holten daher in ihrem 750 Wörter langen Ausschreibungsbeitrag eine der schönsten Referenzen der Geisteswissenschaften hervor: die Erforschung des friedensstiftenden Potentials der Sprache. Anstatt zur weiteren Technologisierung der Konfliktaustragung beizutragen, wollten sie die von Lockheed Martin gestellten Mittel in die Verbesserung der Kommunikation investieren. Und da die Ironie Konfliktpotential für Verständigung birgt, schlugen sie die wissenschaftliche Untersuchung der Ironie vor. (…)
„Ironie hat seitens der Forschung noch nicht ausreichend Aufmerksamkeit bekommen“, (…)
Auch Burnett und Dolven laben sich an der „Unendlichkeit der Möglichkeiten“ mit ihrer Forderung nach der Entwicklung sogenannter Irony Kits (Ironie-Sets): Die Wissenschaftler wollen mit ihrer Hilfe den Ironiker anhand von Speichelproben auf frischer Tat überführen.“
Da haben wir es schwarz auf weiss: Postironie ist wichtig für den Weltfrieden. 😉
Beauty. Schönheit. Der Zauber des Alltags. Authentizität. Eine bessere Welt. Will man sich mit diesen „postironischen“ Hintergrundthemen auseinandersetzen, so stößt man schnell auf die Ambiguität, die Dialektik dahinter, welche in der letzten Hälfte des letzten Jahrhunderts zur Inflation der Ironie selber geführt hat.
Denn, mal ganz ehrlich, wer hier kann sagen was Schönheit ist? Versuchen wir mal eine naive, „ehrliche“ Herangehensweise, nur um sie mit Mut vor die Wand zu setzen.
Angefangen bei menschlicher Schönheit: Unbestreitbar wohl, dass wir schon naturgegeben eine Vorliebe für bestimmte Geischtsformen und Körperformen mitgegeben bekommen, wie viel kulturelle Prägung da auch immer mit enthalten sein mag, die Grundlage dafür liegt schon in unseren Genen. Als Mann, und weil es hier eindeutigere Forschungserkenntnisse und eindeutigere kulturelle Prägungen gibt, betrachte ich mal das „schöne Geschlecht“. Das weibliche Schönheitsideal setzt sich irgendwie aus dem Durchschnitt zusammen.
Genau das führte dann aber zu dem „All American“ Schönheitswahn, dessen Gegenthese man im Postironischen Manifest und dem Definitionsversuch lesen könnte. Hand aufs Herz, sind Miss Universe und all die Playmates wirklich schön?
Liest man die begeisterten Blogartikel über Menschen wie Antony Hegarty, merkt man: Genau das ist hier nicht gemeint.
Und dies lässt sich weiterspinnen auf jeden irgendwie gearteten künstlerischen Bereich: Mit Schönheit meinen wir wohl kaum das Glatte, Perfekte, Vollendete. Auch wenn das in Ausnahmefällen schön sein kann. Es wird also klar: „Das Wahre, Schöne und Gute“ existiert in dieser Reinform gar nicht. So wie es kein eindeutiges Wahr und Falsch gibt, kein eindeutiges Gut und Böse, gibt es auch kein eindeutiges Schön und Häßlich. Diese Erkenntnis ist die Ursache der Inflation der Ironie.
Aber was meinen wir, was suchen wir dann, wenn hier von Schönheit geschrieben und geredet wird? „Das Paradox Schönheit“ weiterlesen
Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks hat der postironische Kopfverband an der Universität Hamburg ein Seminar angeboten. Natürlich ging es dabei um Postironisches. Wir haben mit einer Gruppe von 16 Menschen das postironische Manifest gelesen und diskutiert.
Wir stellten fest, daß ein Manifest selbstbezüglich ist und einen Standort bestimmen möchte. In unserem Fall heißt das, dass das Manifest selbst zum Zweifeln anregen muss. Alle waren sich einig, dass es dies bewirkt, denn es ist soweit Sinn entleert, dass man sich Gedanken machen muss, wo Sinn entstehen kann.
Desweiteren stellten wir fest, dass das postironische Manifest nichts feststellt, also nichts starr festmacht, sondern der Vielfalt und den Möglichkeiten Raum gibt. Dabei passiert es, dass feste Kategorien angelöst werden, aufgelöst werden und Grenzen verschwimmen.
In dieser Bewegung kann Raum entstehen. Raum für: Schönheit, Wahrheit, Liebe. Das zeugen von Schönheit würde dann immer mehr Schönheit zeugen.
Sie wuchs aus einem Tannenzapfen
und sie war schön
reckte und streckte sich
Vögel setzten sich auf sie nieder
einer kroch in ihre Brust
um sich zu wärmen
und sang dabei so schön
sie konnte nicht anders
als ihn hineinzulassen
er sang und die Welt wurde bunt um sie herum
und es regnete Kugeln
und aus ihnen wurden erst Pfützen
dann Teiche
dann die große See
golden war diese Zeit
strahlend
der Himmel fand die Welt so schön
auch er wünschte sich das Leuchten
und er wünschte ganz fest
und ihm wurden die Sterne geschenkt
zwei Sterne fanden Gefallen aneinander
und so rieben sie sich
wurden groß und rot
zeugten viele kleine Sterne
viele Jahrhunderte wuchs so alles
bunt und gold
und alle Lebewesen
und jedes Ding
fand ein anderes
an dem es Gefallen fand
eines Tages
hörte man ein seltsames Geräusch
ein ungewöhnliches Geräusch
…
1. attempt: Zizek on Love and everything in between in 2 minutes
2. try: closer
Zwischen 2005-2008 hat ein Englischstudent an der Stanford Uni (USA, SF) für seine Doktorarbeit einen Blog zum Thema „Postironische Zeiten“ geführt. Und so startete er am 6.5.2005:
„So what’s the topic of my dissertation? I haven’t had my colloquium yet (that’s going to be in the fall), but I am narrowing in on „post-irony“ as a concept that might be particularly fruitful to explore. Since the early 1990s, and at an accelerated pace since 9/11, there have been a range of artistic efforts–from the Freedom Tower going up on Ground Zero to Chris Ware’s Jimmy Corrigan to Dave Eggers’s A Heartbreaking Work of Staggering Genius to Wes Anderson’s various movies to the many many brilliant episodes of This American Life--to reformulate the moral logic of earnestness in an ironic world. The artists engaged in this effort appreciate what irony (as a tool of cultural criticism and as a means of resisting the dominant culture) has let us do since the heyday of the counterculture, but they also desperately want to push beyond irony, and the negative critical methods of the counterculture, towards something else. Towards something postive, affirmative, or (at the very least) real. Put differently, all these artists are struggling to find a way, through art, to express deeply felt, often unbearable, emotions without seeming trite, cliched, or mainstream; yet they all seem somehow forced to use highly ironized and self-conscious means of doing so. The results are often odd but (almost) always interesting.“