(aus dem Ausstellungskatalog „Neues Rheinland. Die postironische Generation„)
Im Ernst
von polemischer Ironie zu postironischer Vernetzung in der Kunst des Rheinlands und überhaupt
von Jörg Heiser
Sigmar Polke fällt einem gleich als erstes ein als ein abwesender Vater der Ironie in der Gegenwartskunst. Abwesend nicht, weil er erst kürzlich und zu früh gestorben ist, sondern weil es für Polke aus zwei Gründen schier unmöglich gewesen wäre, eine solche Vaterschaft anzuerkennen: weil Ironie das offene Bekenntnis zur ironischen Haltung nicht verträgt, den Restzweifel braucht (ist es etwa doch eins-zu-eins ernst gemeint?); und weil dies genau das patriarchale Muster wiederholt hätte, an dem sich Polkes Ironie einmal entzündet hatte. Kaum eine Arbeit Polkes aus den Sechziger Jahren stellt diesen Entzündungsherd so deutlich und buchstäblich vor Augen wie Vitrinenstück von 1966. Um diese Arbeit soll es ausführlicher gehen, bevor weitere exemplarische Werke von Rosemarie Trockel und jüngeren Künstlern der Gegenwart (Monika Stricker, Alexandra Bircken, Manuel Graf) ins Spiel kommen. Was ist der Unterschied zwischen Ironie der Sechziger und Postironie der Gegenwart? Die These ist, grob gesagt, dass dieser Unterschied den Wandel von einer polemisch konfrontativen Konstellation zur entpolemisierten Vernetzungskultur markiert.
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Eine Vitrine vor drei in leichtem Winkel zueinander aufgestellten Stellwänden – wie ein Altartisch vor Tryptichon mit aufgeklappten Flügeln. Die Vitrine ist von der musealen Sorte, in der man illuminierte Handschriften aufbahren würde; die Stellwände erinnern an Hinweistafeln auf deutschen Ämterfluren. Die formellen Konventionen verstaubter Institutionen also. Doch die Verlautbarung auf der rechten Tafel beinhaltet keine Hinweis auf Sprechstunden, sondern ist – in Versalien – als persönliches Bekenntnis formuliert: „Ich stand vor der Leinwand und wollte einen BlumenstrauSS malen. Da erhielt ICH von höheren Wesen den Befehl: Keinen BlumenstrauSS! Flamingos malen! Erst wollte ich weiter malen, doch dann wusste ich, dass sie es ernst meinten.“
Auf der mittleren Stellwand, im Zentrum des Altarbilds, findet sich das Ergebnis des Befehls: das Bild mit den beiden in hellen Strichen auf dunklem Stoffgrund gemalten Flamingos, ganz wie die exotisch-erotische Dekoration eines Rotlicht-Lokals. Auf der linken Stellwand wird der Sachverhalt unter der Überschrift „Notizen“ weiter erläutert – ein ausführliches mehrseitiges Schreibmaschinenschriftstück erläutert, wie es angesichts im Raum frei schwebender Erbsen zur Eingebung kam. Ein Foto zeigt Polke, wie er sich zwei Untertassen wie die Muscheln eines Kopfhörers gegen die Ohren drückt, um die Nachrichten der höheren Wesen empfangen zu können. In der Vitrine finden sich die beiden Untertassen, eine von ihnen mit Erbsen darauf, außerdem eine Packung Streichhölzer, bei denen alle Kuppen entfernt wurden, das Fragment eines zerstörten Gemäldes mit Rasterpunkten – all dies ebenfalls auf Befehl höherer Wesen ausgeführt – sowie ein Exemplar des Katalogs der ersten Documenta von 1955. Er ist aufgeschlagen auf einer Seite, auf der links ein Porträt Max Beckmanns zu sehen ist und rechts das Foto einiger Teilnehmer der Jury-Sitzung zur Kölner Künstlerbundausstellung von 1952, darunter in den Fünfziger Jahren weithin bekannte Größen wie Ewald Mataré, Erich Heckel oder Georg Meistermann.1 Unter dem aufgeschlagenen Katalog der Kommentar Polkes in Schreibmaschinenschrift: „Eines Tages werden auch sie einsehen, dass es besser ist, auf Befehl höherer Wesen zu malen.“
Warum nun plötzlich der Documenta-Katalog? Was hat er mit Flamingobild und höheren Wesen zu tun? Zur Jury der 1952er Künstlerbund-Ausstellung zählten insgesamt 14 Künstler, überwiegend über sechzig Jahre alt, deren Aufgabe es war, aus den eingesandten Arbeiten die Überblicksschau mit Werken von abstrakt wie gegenständlich arbeitenden Bildhauern und Malern zusammenzustellen. Von den Juroren selbst gingen laut Satzung je zwei Werke unjuriert in die Ausstellung ein, ebenso unjuriert aufgenommen wurden alte Mitglieder des Künstlerbundes.2 Angesichts solcher Auswahlkriterien wundert es nicht, dass die Künstlerbund-Ausstellungen durchwachsene, voll gerammelte Akkumulations-Ausstellungen waren. Sie sollten Überblick über aktuelle Strömungen bieten, hatten aber den Beigeschmack, Funktionärsbasare zu sein. Ist abstrakt besser als gegenständlich? Flamingo besser als Blumenstrauß? Willi Baumeister – 1950 maßgeblich an der Neugründung des Künstlerbunds beteiligt – soll während der Jury-Sitzung zur ersten Überblicksausstellung 1950 gesagt haben: „‚Segelschiff’ haben wir noch nicht, das muss hinein.“3 Ironisch ist das. Aber auch resignierend vor dem Prozedere. Und vom Segelschiff zum Flamingo ist es nicht mehr weit. Jurierung von Kunst entpuppt sich als Vereinsmeierei.
Darin erinnert Polkes Vitrinenstück an Marcel Duchamps Fountain (1917). Duchamp war Gründungsmitglied der Society of Independent Artists in New York. Als diese eine Überblicksausstellung vorbereitete, zu der ausdrücklich jedermann zum Preis von sechs Dollar zwei Werke einreichen dürfen sollte – erklärtes Ziel war, die übliche Vorauswahl und Zensur durch Jurierung zu vermeiden – schickte er unter Pseudonym das Urinal. Es wurde zunächst abgelehnt, da es sich nicht um Kunst handele; dann in einem Nebenraum verschämt den Blicken der meisten Ausstellungsbesucher entzogen. Ohne seine Autorschaft am Urinal offen gelegt zu haben, trat Duchamp aus Protest aus dem Vorstand zurück. Die Parallele ist klar: Banalität (der sanitäre Gebrauchsgegenstand, das Dekorationsmotiv Flamingo) und Vulgarität (Pissen, Puff) prallen auf Expertengremium und dessen Behauptung, für ernsthafte Kunst zu stehen.
Ein weiterer Subtext: bis in die Sechziger Jahre hinein wurde eine dogmatische Diskussion um Abstraktion versus Gegenständlichkeit geführt. Die meisten der Künstlerbund-Jurymitglieder favorisierten abstrakte Kunst: sie galt als fortschrittlicher und versprach eindeutige Abgrenzung von Nazi-Ästhetik und Sozialistischem Realismus. Ebenso vom Alltagskitsch. Der fünfundzwanzigjährige Polke studierte 1966 noch bei den Informel-Malern Gerhard Hoehme und Karl-Otto Götz an der Düsseldorfer Akademie. „Höhere Wesen befahlen…“ ist vor diesem Hintergrund eine Anspielung auf die spiritistische Tradition in der abstrakten Kunst (von Hilma af Klimt bis Kandinsky), aber auch eine ironische Wendung für „…einem vorgegebenen Dogma folgen“. Die Jury, die eines Tages noch einsehen werde, „dass es besser ist, auf Befehl höherer Wesen zu malen“, wird ihrer eigenen Logik unterworfen: so wie einige ihrer Mitglieder denken mögen, dass die Gegenständlichen eines Tages einsehen sollen, dass es besser ist, abstrakt zu malen. So als gäbe es eben nur die Wahl zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit und nichts anderes – kein Neo-Dada, keine Pop Art, wo sich dieser Gegensatz auflöst in Reproduktion und Serialität.
Doch beim aufgeschlagenen Documenta-Katalog spielt noch mehr und heikleres mit. Man muss nur in Erinnerung rufen, das Max Beckmann einer der von den Nazis am meisten verhassten Künstler war und nach seiner Emigration in die USA bis zu seinem Tod 1950 nie wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Im 1950 wiederbegründeten Deutschen Künstlerbund waren viele jener Künstler vertreten, die wie Beckmann von den Nazis im Zuge der Ausstellung „Entartete Kunst“ stigmatisiert, verhöhnt und an der Ausübung ihrer künstlerischen Arbeit gehindert worden waren. Die Documenta 1955 signalisierte deshalb den Neuanfang einer unterbrochenen Moderne in Deutschland. Die ungegenständliche Kunst in Deutschland suchte Weltläufigkeit, Anschluss an den internationalen Diskurs. Die geschichtlich bedingte Skepsis gegenüber Realismen der Darstellung drohte dabei jedoch, ein doppeltes Vakuum zu erzeugen: ein Vakuum der Abwesenheit von wirklichem künstlerischen Experiment, das gerade auch verworfene und vermeintlich veraltete Ästhetiken hätte reaktivieren können (und sei es ironisch); und ein Vakuum der Abwesenheit von wirklicher Geschichtsresonanz. Denn ausgerechnet modernistische Abstraktion – von den Nazis stigmatisiert – machte es leicht, einer direkten Auseinandersetzung mit der NS-Zeit aus dem Weg zu gehen. Das Ergebnis dieses doppelten Vakuums war –spätestens in der ersten Hälfte der Sechziger, also der Zeit, in der Polke studierte – eine ideologische und bürokratische Erstarrung des Künstlerischen.
Diese Erstarrung fand aber nach wie vor noch unter dem Paradigma des Künstlers statt, der originär aus dem befreiten Genius heraus schafft. Willi Baumeister war dafür mit seinem Buch Das Unbekannte in der Kunst – 1943 verfasst, 1947 veröffentlicht –einflussreicher Stichwortgeber. Darin heißt es: „Das originale Produzieren beruht nicht auf vergleichbarem Können, der originale Künstler kann in diesem Sinne im hohen Zustand nichts […] Das Genie kann nichts und nur damit alles. […] Der Künstler originaler Art sieht eigentlich nicht. Da er als Vorderster mit jedem Werk ins Unbekannte stößt, kann er nicht voraussagen, auf was er stoßen wird […] Selbst wenn der Künstler, bewegt von einem unfassbaren Urwillen, in hohem Bewusstsein seiner Handlung, seine Sache sagt, meißelt oder malt, lässt er sich überraschen von dem, was unter seinen Händen entsteht.”4 Es ist dieses von unfassbarem Urwillen getriebene und ins Unbekannte stoßende Genie, dem unter der Hand bei Polke plötzlich kitschige Flamingos unterlaufen.
In das doppelte Vakuum der Vermeidung von radikalem Experiment und geschichtlicher Auseinandersetzung – aufrechterhalten mittels zum Dogma erklärter Abstraktion – stoßen die „höheren Wesen“: Unbekannte mit unfassbarem Urwillen. Sie sind Gespenster aus der Massenkultur, die man nicht los wird, zugleich Widergänger des nicht aufgearbeiteten Elements autoritärer Strukturen. Und wenn man sich jenes andere berühmte Werk Polkes von 1969 anschaut, Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!, so geschieht dort genau das: Die Formsprache der malerischen Abstraktion wird aufgerufen, denn da ist ja ein planes weißes Feld mit einem schwarzen Dreieck rechts oben. Nur ist der Befehlssatz in Schreibmaschinentypo in den unteren Teil der weißen Fläche hineingesetzt, als wäre es ein schmal verkniffener Mund in einem rechteckigen Gesicht; aus der abstrakten schwarzen oberen Ecke wird automatisch die streng diagonal gelegte Hitlertolle. Natürlich war Polke 1969 längst an anderen Problembaustellen tätig: sein Spott richtete sich nicht mehr nur gegen die Abstrakten der Fünfziger, sondern gegen jede Form von normativer Schulwerdung, ob mit oder ohne Genie-Kult, so nun auch im Bezug auf US-amerikanische Minimal und Concept Art. Dennoch wird klar, warum Polke es nur die ins Absurde gesteigerte Ironie des Vitrinenstück erlaubte, das heikle und ambivalente Verhältnis zur Künstlervätergeneration adäquat zu Bewusstsein zu bringen. Eine direkter Angriff auf die Fünfziger-Jahre-Abstrakten als abzulösenden Altvorderen wäre der Denunziation allzu gleich geraten, die viele von ihnen bereits unter den Nazis ausgesetzt waren. Das war Polke bewusst. Zugleich durfte man sie aber von der Kritik nicht ausnehmen, als Mitglieder von Gremien und als Professoren an Akademien selbst mit teils willkürlich selektiv und dogmatisch vorzugehen. Deshalb Polkes Ironie beim Vitrinenstück: es ist eine ödipale Ironie, die sich und den Vätern nicht die an dieser Stelle falsche Genugtuung einer direkten Konfrontation gibt.
Polkes Oeuvre auf „Ironie“ zu verkürzen ist falsch. Es überwog bei Polke bis in die frühen Achtziger hinein eine Haltung des Sich-Dumm-Stellens als gesteigerte Form ironischer Verfeinerung: Schneeglöckchen oder Palmen malen, Kunstwerke aus Kartoffeln machen, Drogen nehmen und in der Dunkelkammer Quatsch machen usw. Ab den Achtzigern dann – unter den Vorzeichen einer Rückkehr der Malerei, die Polke wie Gerhard Richter erst international durchsetzte – eine exakt entgegen gesetzte Selbstdarstellung als weise und im Besitz geheimen Wissens (Alchemie-Anspielungen in Materialien, Motiven und Titeln, sybillinische Interviewäußerungen etc.). Was ist die Konsequenz? War Polke ein alchemistischer Neo-Mystiker, der sein hermetisches Interesse mit humoristischen Ablenkungsmanövern camouflierte? Oder doch ein großer Scherzkeks? Es geht genau um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ironie und quasi-mystischer Einsicht: es ist die Ironie eines wie von Drogen induzierten (und manchmal tatsächlich drogeninduzierten) Nebensichstehens, aufgrund dessen das absolut Gewöhnliche plötzlich mysteriös und einzigartig erscheint, seien es nun Erbsen oder Flamingos. Und zugleich entpuppt sich so das vermeintlich so Mysteriöse und Unerhörte – etwa die Informel-Malerei der Fünfziger und Sechziger – als das eigentlich Entleerte und Banalisierte.
Folgt man all diesen Überlegungen, wird auch klar, wie komplett unironisch im Vergleich Gerhard Richters Werk ist, auch wenn anfängliche gemeinsame Aktionen 1963 unter dem natürlich nicht unironischen Schlagwort „Kapitalistischer Realismus“ etwas anderes nahe legen. Polkes Strategie ist verschlungener, komplexer: auch er scheint sich wie Richter anfänglich an der amerikanischen Strategie des materiellen Literalismus – wie in der Pop-Art die Dinge einfach und flach abbilden – zu orientieren, wenn er Socken (1963) oder Kekse (1964) oder die Türen eines Schrankes malt (Schrank, 1963). Doch zunehmend ersetzt er das idealistische nicht durch das materialistische Prinzip, sondern durch eine gerade besonders gesteigerte Anrufung des Ideellen und Entrückten (dass Polke wie Richter zuletzt Kirchenfenster gestalteten, ist vor diesem Hintergrund tatsächlich Ironie der Geschichte).
Polkes Ironie unterscheidet sich in ihrer Aufrechterhaltung des Verhältnisses zum Idealistischen graduell, aber nicht grundsätzlich von der amerikanischen Logik der Buchstäblichkeit. Diese Logik ist zugleich die des Deadpan: damit bezeichnet man den versteinerten, emotionslose Gesichtsausdruck im Angesicht des schreiend Komischen, etwa bei Buster Keaton. Es ist also eine umgedrehte Ironie: anstatt eine scheinbar feierlich ernste Äußerung mit einem süffisanten Grinsen als ironisch zu enthüllen, wird eine – im Vergleich zum Geltenden – komplett polemisch und absurd wirkende Äußerung mit feierlich ernstem Ausdruck vorgebracht. Und komplett polemisch und absurd wirkte es im Kunstkontext der Sechziger Jahre zum Beispiel, völlig gewöhnliche Dinge – Suppendosen, graue Kisten – als Kunst zu präsentieren. Diese Strategie wurde zur Grundhaltung vieler amerikanischer Künstler.
Konrad Fischer, alter Weggefährte Polkes, hatte dazu mehr als nur eine Affinität: nicht umsonst eröffnete er seinen Ausstellungsraum in der Düsseldorfer Altstadt 1967 mit den Stahlbodenplatten Carl Andres, welche die meisten Besuchern seinerzeit wohl für einen Teil der Raumausstattung hielten. Andres Arbeiten düpierten die geltenden Ansprüche bildhauerischer Gestaltung; dabei ernste Miene zu behalten war essentiell. Polke antwortete mit seinem Bild Carl Andre in Delft (1968). Dieses jubelt den modernistisch-proletarischen Stahlplatten die Ästhetik holländischer Porzellanfließen unter – welche von distinguierter Verfeinerung längst zum Deko-Motiv für Geschirrhandtücher abgesunken waren.
Wie Olav Westphalen – selbst Künstler und im Zweitberuf Karikaturist als Teil des Duos Rattelschneck – überzeugend argumentiert hat, handelt es sich bei Deadpan um eine Legitimationsstrategie: nur so können Künstler „die Komik ihrer Arbeit zum gebotenen Zeitpunkt leugnen und doch noch den Hochkunstbonus genießen.“5 Deadpan ist also nur so lange ironisch, so lange eine zweite, ernste Lesart nicht je nach Situation günstiger erscheint. Das kann dann opportunistisch sein, wenn es sich dem andient, was eigentlich bekämpft werden soll (z.B. ein überkommenes, reaktionäres Kultur- und Gesellschaftsverständnis). Mindestens ebenso sehr kann aber die konstitutive Unentscheidbarkeit des Deadpan – ernst gemeint oder gerade nicht? – der Schlüssel dazu sein, sich von Festschreibungen immer wieder loszumachen. Bei Polke (oder auch beim minimalistischere Imi Knoebel) ist der ironischen Haltung auf Dauer jede demonstrative Aufdringlichkeit genommen, sie knufft einem nicht ständig um Einverständnis buhlend in die Seite. So wird der polemischen Positionierung gegenüber dem Älteren, dem Allgemeinem, dem Durchgesetzten das Ödipale genommen – und doch Bissigkeit bewahrt.
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Obwohl, so einfach ist es dann mit König Ödipus doch nicht. Bei Polkes Vitrinenstück geht es um einen ironisch ausgetragenen Generationskonflikt über die Auffassung von künstlerischer Inspiration (Genie ja oder nein?), von Geschichte (Aufarbeitung ja oder nein?) und gesellschaftlicher Gegenwart (Massenkultur ja oder nein?). Der Konflikt findet ausschließlich zwischen Männern (und eventuell Göttern) statt. Dieses Modell fand fruchtbare Anwendung beispielsweise bei Martin Kippenberger, der Polkes Ironie fanatisierte; nichts und niemand blieb vor seiner polemischen Ironie sicher.6
Nur erschlug Ödipus bekanntlich nicht nur seinen Vater Laios, er heiratet auch seine Mutter Iokaste. Die gemeinsame Tochter Antigone widersetzte sich königlichem Befehl und wurde zur frühen mythischen Figur für Unbeugsamkeit (was ja auch der Name Antigone bedeutet). Solche Unbeugsamkeit aber, demonstrativ reklamiert, produziert unter den Voraussetzungen einer weitgehend liberalisierten kulturellen Praxis unter Umständen falsches Pathos. Gegengift zum Pathos (und hoffentlich nicht Ersatz für Unbeugsamkeit) auch hier: Ironie. Die grimmige Ironie Rosemarie Trockels im Umgang mit der patriarchalen Ordnung in der Kunst und um die Kunst herum ist dafür beispielhaft.
Die offensichtlichsten Belege dafür sind Trockels ‚Strickbilder’ (seit 1984) und die ‚Herde’ (seit 1987). Das erste Strickbild von 1984 – wie die meisten folgenden mit einer Strickmaschine hergestellt und unbetitelt – zeigt das Playboymotiv, den Hasenkopf, als Endlosmuster. Ein weiteres von 1984 macht aus Anführungszeichen ebenfalls ein Endlosmuster. Damit ist bereits ein Spektrum abgesteckt. Die Arbeit an der Strickmaschine ist klassisch und stereotypisch besetzt mit weiblicher Heimarbeit und weiblichem Interesse an Mode. Wird das Symbol für Playboy dazu kombiniert, kollidiert Klischee mit Klischee. Die Anführungszeichen weisen all das als Umgang mit Zitaten aus. Das ist im Prinzip nichts neues, schon Walter Benjamin schrieb: „Zitate in meiner Arbeit sind wie Räuber am Weg, die bewaffnet hervorbrechen und dem Müßiggänger die Überzeugung abnehmen.“7 Seit Warhol wird dieses Prinzip des überzeugungsraubenden Zitierens beschleunigt und serialisiert. Das Zitat wird hervorgehoben und zugleich entleert. So ist es in den Achtziger Jahren nur konsequent, diese Entleerung auf das schwere, kontaminierte deutsche Zeichen schlechthin anzuwenden: 1986 macht Trockel, nach Varianten mit Hammer und Sichel, ein Strickbild mit Hakenkreuzen.
Die Strickbilder richten sich weniger gegen die Altvorderen der Abstraktion als gegen die – nicht selten zur selben Generation wie Trockel zählenden – Neo-Expressionisten der Malerei und die Neo-Essentialisten der so genannten „Frauenkunst“. Trockel weist Machismo und „weibliche Werte“ zurück, in dem sie beides in mechanisierter Form – harte Zeichen, weiche Strickware – aufeinanderprallen lässt.
Bei den ‚Herden’ sind schwarze Elektroherd-Platten – ohne weitere Funktionsteile in Emaille- oder Stahl-Oberflächen eingelassen. Die Operation bei diesen minimalistischen, freistehenden Objekten bzw. Wandbildern (oder besser Reliefs) ist ähnlich einfach und effektiv wie bei den Strickbildern: man nehme eine gerade durchgesetzte Ästhetik – Minimal und Post-Minimal – und füttere sie exakt mit dem, wovon sie sich bewusst wie unbewusst ständig distanziert. Bis sie platzt. Die Universalität geometrischer Abstraktion in Stahl glaubt sich weit, weit weg vom Heimchen am Herd. Der ehrwürdige minimalistische Meister lässt sich jedoch im Zweifelsfall sein Süppchen von einer ins Abhängigkeitsverhältnis verstrickten Partnerin kochen, die ihm auf keinen Fall mit einer eigenen ernstzunehmenden Produktion Konkurrenz machen darf; wobei diese Umstände entweder frei von Problembewusstsein behandelt oder verdrängt werden. Trockels ‚Herde’ sind die Rache dieser Verleugnung: sie führen ganz still aus den Höhen künstlerischen Ernstes in die Niederungen der Peinlichkeit stereotyper Geschlechterverhältnisse. Zugleich sind es aber auch einfach wieder Punkte auf einer Fläche oder einem Volumen, Variationen eines formalen Verhältnisses – wie gesagt, Ironie verträgt das offene Bekenntnis zur ironischen Haltung nicht, sie braucht den Restzweifel. Auf eine seltsame Art ist die Sache nämlich sehr, sehr ernst; diese Ernsthaftigkeit ist in diesen Werken formal anwesend.
Es gibt eine Videoarbeit von Trockel, The Great Divide (1994), die an den Konfliktstoff von Polkes Vitrinenstück anschließt. Hier wird das mythische Element nicht von höheren Wesen geliefert, sondern von der Schneewittchen-Frage nach dem erfolgreichsten Künstler. Es geh allerdings nicht um die Alten, die Künstler-Kriegsgeneration, sondern um die eigene, nach wie vor und hartnäckig männlich dominierte. Wobei die böse Stiefmutter und Schneewittchen (oder: Iokaste und Antigone) ein und dieselbe Person sind. Zu sehen ist Trockel selbst, abwechselnd von oben und von der Seite, wie sie ein an den Stuhl gefesseltes Double ihrer selbst verhört (beide werden im Close-up von Trockel selbst dargestellt). Das Opfer soll, ganz stalinistisch, nicht sagen, was der Fall ist, sondern was der Fall sein soll. Auf die Frage, wer der beste Künstler sei, spuckt das andere, gefesselte, mit Ohrfeigen traktierte Selbst alle möglichen, durchweg männlichen Namen aus – Luc Tuymans, Richard Serra, Frank Stella usw. – nur nicht den gewünschten. Als sie am Ende dann doch „Trockel“ sagt, kommt ein höhnisches „you’ve hit the jackpot“. Als das Gegenüber weiter männliche Künstlernamen ausspuckt (darunter natürlich auch Richter und Polke) setzt es weiter Schläge. Kein Entkommen – aus der absurden Logik der jährlichen „Bestenliste“ der Zeitschrift Capital, auf deren 1994er Variante die Arbeit basiert und in der Trockel immerhin in den Top 30 notiert wurde. „Immerhin“ heißt, dass diese Liste nicht nur ein Ort für absurde Selbstzweifel und nagenden Narzissmus ist, sondern die erdrückende männliche Vorherrschaft in Sachen Kunst und Erfolg – und in Sachen Gleichsetzung von Erfolg und Qualität – belegt. Anstatt dies unter Absehung vom eigenen Begehren entrüstet anzuprangern, impliziert Trockel sich selbst gleich doppelt – und bringt so Ironie und Zorn in eine unauflösbare Spannung. Diese Bereitschaft, selbstreflexiv die Voraussetzungen der eigenen ironischen Äußerung zu thematisieren, zeigt sich auch in der wunderbaren Zeichnung Die legendäre Ei-Ronny (1993): dargestellt ist ein Cowgirl mit Revolver im Anschlag, knappem Bustier und Stilettos – allerdings hat sie anstatt Absätzen rohe Eier (vor Jahren musste ich mich von einer Harald-Schmidt-Latenight-Show-Folge darüber aufklären lassen, dass es tatsächlich für angehende Catwalk-Models die Disziplinierungs-Disziplin „auf-rohen-Eiern-gehen“ gibt, um den perfekten Stiletto-Gang zu üben). Weitere Eier befinden sich unter anderem im Schritt. Die ausgeleierte Fertilitäts-Symbolik des Eies wird im Titel mit dem Westernheld-als-Präsident Ronny Reagan kombiniert. Postfeministische Selbstermächtigung, die sich rein über symbolische Politik zu etablieren versucht, erweist sich als Illusion (als könne das richtige mediale Bild der coolen, Colt-schwingenden Heldin alleine schon einen realen Machtgewinn bedeuten). All die abgenutzten Pointen werden in ihrer Abgenutztheit vorgeführt, Ironie selbst als sturmreif geschossene Bretterbude ironisch vorgeführt. „Legendär“ ist da gar nichts mehr. Ironie, die die Waffe gegen sich selbst richtet, ist schon beinahe Postironie.
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In den Neunziger Jahren wurde Ironie zum Allgemeingut. Es war allerdings nicht die feine Ironie der Konversation, die Boris Groys 1994 verabschiedete mit dem Argument, die Auflösung der Kalter-Krieg-Konstellation nach 1989 habe die Welt ironischer gemacht als jede mögliche Äußerung dazu.8 Sondern es war eine Ironie des Entertainment, der Verkleidung, der theatralischen Aufwertung des vermeintlich oder tatsächlich Trivialen, entlang der Parodie von Geschlechterrollen: kurz, es war die Vergesellschaftung von Camp. Susan Sontag hatte in ihrem berühmten Essay „Notes on Camp“ (1964) eine Selbstbehauptungs- und Selbstaffirmationsstrategie schwuler Subkulturen beschrieben, die sich mit spielerischer Ästhetisierung gegen Stigmatisierung und moralische Entrüstung wendet: Camp ist der „Sieg des Stils über den Inhalt“, der „Ironie über die Tragödie.“9
Die Attraktivität dieses Konzeptes wirkt in säkularisierten Gesellschaften bis heute – und nach wie vor zunehmend – weit über schwule Subkultur hinaus. Als Massenphänomen tritt sie in Form des Revival auf. Das Abba-Revival ab ca. 1992 ist das beste Beispiel dafür. Die Band existierte nicht mehr und war lange als altmodischer Süßstoff-Disko-Ersatz betrachtet worden. Nun plötzlich bekannten sich alle – Schwule und Lesben ebenso wie stockheterosexuelle Männer und Frauen– zu Abba. Den Anfangsimpuls gaben 1992 Erasure mit ihrer E.P. Abba-esque, die besonders in England und Deutschland hoch in den Charts notiert wurde. Wobei zwei mögliche Rezeptionsweisen dahinter steckten: entweder wurde die Camp-Strategie der ästhetischen Aufwertung des vermeintlich Trivialen selbst wiederum ironisch geklammert (sieh nur die Schlaghosen, hör nur die kitschigen Background-Gesänge, ist das nicht total schräg?). Oder aber Camp wurde, ganz im Gegenteil, wieder auf einen moralisch-romantischen Kern heruntergebrochen: etwa die unerschütterliche Liebe über gesellschaftlichen Normen und Segregationen hinweg. Manchmal wohl auch beides zugleich (ein weiteres gutes Beispiel dafür ist der durchschlagende Erfolg von John Waters’ 2007er Hairspray-Musical nach dem gleichnamigen Film von 1988).
Camp und Ironie wurden in nie vorher gekanntem Ausmaß Massenkultur. In der spezialisierten Kunstszene weckte das den alten Impuls, eine Korrumpierung des zugrundeliegenden Konzepts zu vermuten. Zudem machte sich 1991 im Zeichen des Golfkriegs eine Ernüchterung über die Potentiale der Welt nach 1989 breit: Weltkrieg schien wieder wahrscheinlicher als Weltfrieden. Um die gleiche Zeit rief in den USA der Versuch, Minderheitenrechte vor allem über Sprach- und Verhaltensregelungen schützen – Stichwort Political Correctness – rechte Widersacher auf den Plan, die P.C. sofort zum Schimpfwort für jeden Versuch machten, etwas am Status Quo von Diskriminierungen zu ändern.
1991/1992: Schicksalsjahre der Ironie. In Deutschland wurden 1992 die Pogrome gegen ein vietnamesisches Wohnheim in Rostock-Lichtenhagen zum weiteren Auslöser einer Abkehr von Ironie. Man könnte zunächst gegenteiliges vermuten, wenn man an die Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen denkt und ihr Stück „Das bisschen Totschlag“ (1994) denkt. Es beschäftigt sich mit der Bagatellisierungsstrategie des politischen Mainstreams in Deutschland nach der Welle rechtsradikaler Ausschreitungen. Der Titel erinnert an Johanna von Koczians berüchtigen Schlager „Das bisschen Haushalt“ (1977), zugleich an Jonathan Swifts satirischen Essay „A Modest Proposal“ (1729), wo das Verspeisen von Babies als Lösung des Armutsproblems in Irland vorgeschlagen wird. Der Song identifiziert auf grimmig-ironische Weise eine beschwichtigend-ironische Haltung als Teil des Problems: „Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um/ Hier fliegen nicht gleich die Löcher aus dem Käse/ Take it easy altes Haus wir haben schon schlimmeres gesehn/ So einfach wird der alte Dampfer auch nicht untergehn.”
Ironie blieb ein möglicher Farbton politisch-künstlerischer Anklage, zugleich wandte man sich gegen ironische Grundhaltungen der Beschwichtigung. Andrea Frasers parodistische ‚Gallery Talks’ (ab 1986) spielen damit, dass Fraser äußerlich perfekt das autoritär-verbindliche Auftreten einer Museumsmitarbeiterin annimmt, sich dabei aber in sexuelle und materielle Anspielungen – oder besser: Fehlleistungen – verstrickt, so als würden die geheimsten Perversionen der Institution ausgeplaudert und ihre Machtstruktur so offen gelegt (die Amerikanerin Fraser war seit den frühen Neunzigern als Künstlerin bei Galerie Nagel und gelegentliche Autorin für Texte zur Kunst mit Köln verbunden). Autoritäten wird Luft abgelassen. Das aber funktioniert nur wirklich, wenn es dabei gelingt, das narzisstische Moment der eigenen Geste des Decouvrierens – das, was daran wiederum autoritär ist – zu bannen. Und sei es dadurch, dass man es grotesk auf die Spitze treibt. Insofern erscheint es konsequent, dass Fraser mit Kunst muss hängen (2001) eine betrunkene Stehgreifrede Martin Kippenbergers von 1995 Wort für Wort nachinszenierte. Dem 1997 verstorbenen Künstler setzte sie so in der ihm angemessenen Form ein Monument, angemischt aus desavouierender Parodie und mimetischer Hommage. Die kaputt-fanatische Humoristik Kippenbergers – mitsamt ihrer aggressiv peinlichen Anteile, die sich gerade auch gegen Frauen ständig richtete – werden als Energiereservoir angezapft, göttlich und dämonisch zugleich. Das steht in scharfem Kontrast zu politisierten Strömungen innerhalb der Kunst der Neunziger, die vordergründig betrachtet viel gemeinsam haben mit Frasers Ansatz (Institutionskritik, subversive Strategien der Entlarvung etc.), bei denen aber gerade die „Ästhetisierung“ kritischer Ansätze unter Verdacht gestellt wird, politischen Aktivismus wieder nur für das Kunstsystem zu vereinnahmen. Im Sinne dieses Verdachtes argumentierte beispielsweise die Berliner Ausstellung „trap“, 1993 in den Kunst-Werken, ausgerichtet vom britischen Künstlerduo Art in Ruins (Hannah Vowles and Glyn Banks), Stephan Geene und BüroBert (Renate Lorenz and Jochen Becker aus Düsseldorf). Die Argumentation richtete sich gegen den rheinländischen Theorie- und Kunst-Import aus den US-amerikanischen Sphären der Neo-Institutional-Critique, der dabei gleichzeitig noch zu duldsam sei mit den sexistischen Ausfällen à la Kippenberger. Frasers Arbeit von 2001 nähert sich dem Kippenbergerkomplex dagegen weder duldsam noch anprangernd, sondern mit einer Mischung aus Kritik und Anerkennung, Groteske und Trauma.
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Unmittelbar nach den Ereignissen des 11. September 2001 verkündete man vor allem in den USA das endgültige „Ende der Ironie“.10 Ironie war zu diesem Zeitpunkt auf der Linken längst als synonym gedacht mit nihilistischem Zynismus, der jeden Schwachsinn und jede Schweinerei damit rechtfertigt, dass es nicht ernst gemeint sei oder dass man es nicht ernst nehmen solle. Auf der Rechten sah man in Ironie nur die frivole Rechtfertigung für unsittliches, unpatriotisches Verhalten. Es war ein Fehler der stärker moralistisch orientierten Strömungen der Kunst in den Neunziger gewesen, Ironie zur Verfallserscheinung der Postmoderne zu erklären. So wurde sie nun mitsamt ihrer emanzipatorischen Anteile – dem Zweifeln und Kratzen an Autorität, inklusive der eigenen – verabschiedet.
Was aber ebenso einen Knacks bekommen hatte, war Richard Rortys 1989 mit seinem Buch Contingency, Irony, and Solidarity vorgebrachte Konzept einer Ironie, die sich im „privaten“ Bereich der Philosophie und der Kunst ganz gelassen die Kontingenz ihrer Wahrheitskonzepte einräumt, während sie im „öffentlichen“ Bereich liberaler Politik unerschütterlich am moralischen Grundsatz ‚pro Solidarität, contra Grausamkeit’ festhält.11 Der Knacks besteht darin, dass diese scharfe Trennung von privat und öffentlich, schon bis dahin fragwürdig, in den Zeiten globaler digitaler Vernetzung schlicht realitätsfremd geworden ist. Wie der amerikanische Künstler Seth Price in einem Essay von 2002 schreibt: „Wir sollten anerkennen, dass kollektive Erfahrung nun auf simultaner privater Erfahrung basiert, welche über das Feld der Medienkultur verteilt wird, zusammengehalten von fortlaufenden Debatten, Publicity, Promotion und Diskussion.“12 Es ist kein Zufall, dass im Zuge dessen quer durch das politische Spektrum die gänzlich unironische Sehnsucht nach politisch – vermeintlich – legitimierter Grausamkeit wieder zugenommen hat: vom auch in Kunstkreisen hofierten französischen Philosophen Alain Badiou, der sich verschiedentlich an Rechtfertigungen der Massenopfer-Politik Maos versucht hat, bis hin zum eugenischem Sozialdarwinismus des deutschen Finanzpolitikers Thilo Sarrazin, der quer durch die Wählermilieus rasendes Interesse auslöst.
Es geistert immer noch die Vorstellung umher, dass die Kunstwelt ein Ort für das Exzentrische und Exzessive sei; die Realität sieht im Großen und Ganzen anders aus, denn Affektkontrolle und Selbst-Management haben im letzten Jahrzehnt auch in der Kunst eine zunehmend große Rolle gespielt. In den Werken Polkes, Trockels und Kippenbergers aus den davorliegenden Jahrzehnten spürt man im Vergleich – und deswegen hat ihre Wirkung auf heutige Betrachter eher zu- als abgenommen – die Dauerpräsenz des Durchgeknallten, Schillernden, Polemischen. Ironie ist hier nicht betuliche, distanzierte Gelassenheit, sondern funkt – eher unangenehm nah und peinlich –hinein in die Dauerkonkurrenz von Fanatismus und Pragmatismus. Das Nicht-Pragmatische zu denken wird möglich, ohne gleich diktatorisch und dogmatisch werden zu müssen.
Ernst zu sein ist immer einfacher als (wirklich) komisch zu sein. Für polemische Ironie muss man eine Macke haben und die Bereitschaft, sie zu zeigen. Eine Macke zu haben ist aber in der durchökonomisierten Gegenwart alles andere als gewünscht. Selbst auf Kunsthochschulen ist im Zeichen von Verschulung und Evaluierungsprozessen die Luft für brillante Exzentriker extrem dünn geworden. Selbst berufene Leute, die tatsächlich einen – produktiven – Hau haben, versuchen dies mit professoralem Gestus zu kaschieren.
Während dessen ist der Vernetzungsgrad, den junge Künstler heute für sich herstellen – ob auf Ausstellungsempfängen oder bei Facebook – mindestens genauso wichtig wie das, was sie tatsächlich künstlerisch machen. Vielleicht war das im Prinzip schon immer so; aber die Angst vorm Herausgeschnittensein aus dem sozialen Geflecht hat sich in der Gegenwart aus zwei Gründen massiv erhöht: weil sich die Kunstwelt geographisch und quantitativ massiv erweitert hat, womit der Wettbewerbsdruck, aber auch die Zersplitterung der Szenen stark gestiegen sind; und weil zugleich allgemein die sozialen Netze, das Solidaritätsprinzip politisch fortwährend in Frage gestellt werden. Womit wir bei der Postironie wären. Wenn zu polemischer Ironie „keiner hilft keinem“ passt (Kippenbergers Motto für den absurden Männerbund der „Lord Jim Loge“; übersetzt: vor meinem Witz ist keiner sicher, auch ich selbst nicht), so passt zur Postironie: „alle helfen allen“ (übersetzt: ich tu dir nix wenn du mir nix tust). Selbst der ödipale Stoff ist abhanden gekommen (selten waren auch laut Umfragen Kinder so einverstanden mit ihren Eltern wie heute).
Die Postironie ist eine Akzentverlagerung. Es ist nicht mehr etwas komisches, das um einen total ernst gemeinten Kern kreist; sondern etwas zutiefst ernstes, das den Beigeschmack zulässt, dass es auch lustig gemeint sein könnte. Das Schweizer Künstler-Duo Com & Com verfasste 2008 das „first post-ironic manifesto“, in dem es sinngemäß heißt, dass nach der Diskreditierung der Ironie als opportunistischem Zynismus (Zweifel als Lifestyle, Wahrheit als Anpassung an die Gegebenheiten etc.) nun wieder Schönheit uns inspirieren könne, bessere Menschen zu werden; aus Schönheit dann Liebe und aus Liebe Wahrheit erwachsen könne. All das unterlegt von Regenbogenfarben. Das rhetorische Manöver von Com & Com – vor dem Hintergrund, dass die beiden mit satirisch-ironischen Videos und Installationen bekannt geworden sind – ist jedoch eine ironische Reaktion auf die faktische Instituierung der Postironie: deren Schwanken zwischen Demut und Erhabenheit wird als Manifest übersteigert.13
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Ich möchte zum Schluss am Beispiel einzelner Arbeiten von Monica Stricker, Alexandra Bircken und Manuel Graf kurz die Spielräume beschreiben, die sich junge zeitgenössische Künstler offenhalten, um die Entscheidung zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit nicht zum pathetischen Showdown zu machen. Die erste Arbeit Monica Strickers, der ich begegnet bin, bestand aus einem pinkfarbenen lackierten Sockel, auf dem eine seltsame kleine Messingskulptur platziert war, die wie das Modell eines abstrakten Monuments aussah. Bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass auf der Klarsich-Plastiktüte, in der dieses Messingstück steckte, ein kleiner weißer Aufkleber mit der Aufschrift „Children of Dune Brass Object“ klebte – es handelte sich um den Fan-Artikel einer Fernsehverfilmung von Frank Herbert’s Science-Fiction-Bestsellers Children of Dune (1976), dem dritten von insgesamt sechs Bänden seines Wüstenplaneten-Epos. Children Of Dune: An Epic Miniseries Event Only On Sci Fi Channel (2006), heißt Strickers Arbeit. Buchstäblichkeit des Titels also, klassischer Deadpan. Mit diesem Titel ist im Kunstkontext einiges angestoßen: das „Children of Dune“ hat plötzlich den Beigeschmack von Generationswechsel auch in der Kunst; der Widerspruch von „episch“ und „mini“ passt auch zu der Art und Weise, wie Stricker sich dem epischen Einflus der Minimal Art nähert; und „event only on Sci Fi Channel“ verweist auf die Zersplitterung der Milieus. Der Fan-Artikel stammt aus einer popkulturellen Gegenwart, in der obskuren Fangemeinden Fetische angedient werden, die genauso mysteriös sind wie die der Kunst. All das hebt Stricker mit einer ganz leichten, klugen Geste wieder auf: indem sie den obskuren Fetisch in der Verkaufsverpackung belässt und so auf dem Sockel platziert, ist es, als stelle sie ihn lediglich ab, so wie man eine Einkaufstüte auf dem Küchentisch abstellt. Der theatralischen Geste der Präsentation des Readymade wird die geschichtliche Aura genommen. Das Ironische bezieht sich ausschließlich auf die Gesten des Zeigens; ernst und wahrhaftig gemeint ist dagegen die Parallelisierung von Kunstwelt und Fansubkulturen. Das im Unterschied zur Pop-Ära Polkes, wo es noch um die – heute durchgesetzte – Vermischung von High und Low ging.
Bei Aleksandra Birckens Ausstellung bei Galerie BQ, im November 2009 in Berlin, war ebenfalls die Dignität des Alltäglichen etwas, was nicht noch erst durchgesetzt werden musste gegen Erhabenheitsansprüche der Kunst. Allerdings gegenüber Erhabenheitsansprüchen der Architektur: die Ausstellung fand statt in einem temporär bespielten Ladenlokal inmitten einer von Hans Kollhoff in starr neo-preußischem Stil errichteten Wohn- und Geschäftsanlage, gelegen in Charlottenburg nahe des Kurfürstendamm. Die Bricolage-Technik Birckens erinnert auf den ersten Blick an Patchouliduft-geschwängerte Kiffer-WGs mit vertrockneten Stechpalmentöpfen und mottenzerfressenen Patchworkdecken; hier wirkte sie natürlich fremder und stacheliger als in einem klassischen White Cube, der auf jede noch so heruntergerockte Alternativ-Ästhetik schockabsorbierend wirkt. Dabei liegt dem bei Bircken weniger eine polemische Wendung gegen cleane Ästhetiken zugrunde als eine Hingezogenheit zur Archäologie der Stil-Abfälle. Source (2009), die zentrale, um eine raumgreifende hölzerne Gitterstruktur herum entwickelte Installation, beinhaltete z.B. ein Mobile aus benutzen Teebeuteln und Glühbirnen; bei Püppi auf Abwegen (2009) entwächst dem mit allerlei Tand behängtem Unterteil einer Schaufensterpuppe Gras aus dem Rumpf. Dies sind Ruinen des Versuchs der Einrichtung, der habituellen Strukturierung von Lebens- und Arbeitswelten. Hier wird aber nicht Verwahrlosung ironisiert, im Gegenteil geht es um Emphase und Wertschätzung. Man spürt eine Genealogie des Skulpturalen, die mustergültig von Isa Genzken herrührt: eine ursprünglich von der formalen Strenge des Minimalistischen (Genzkens frühe Ellipsoide der Siebziger) kommende Öffnung zum Empfindlichen (die mit Antennen ausgestatteten Beton-Stücke der Achtziger, die ‚Weltempfänger’) zur Collage als Feinjustierung des Psychomorphen zwischen Subtilität und Groteske (Genzkens polymorphen skulpturalen Objekte seit ca. 2003).
Eine Parallele zwischen Camp und Postironie tritt zutage: Camp funktioniert eher über Anspielung, über die Inszenierung von Gesten als über das offen Polemische (wobei Genzken auch Polemik kann, siehe den Titel ihrer Serie ‚Fuck the Bauhaus’ von 2000). Zugleich wird der Sieg der Ironie über die Tragödie, von dem Sontag noch sprach, längst nicht mehr als Sieg gefeiert, dazu bleibt die Trägodie zu präsent (AIDS, anti-feministischer Backlash und andere Krisen der Emanzipation haben das bewirkt). In diesem Sinne wäre Camp Postironie avant la lettre.
Bei Manuel Graf gehen Aggregatzustände von Heiterkeit, Albernheit und Ernsthaftigkeit fließend ineinander über. Seine Kunst ist angetrieben vom Interesse am obskuren, abseitigen Wissen, das plötzlich zentrale Relevanz erlangen könnte; und genau umgekehrt von der Lust, das Eingeführte und Abgesicherte in psychedelischen Irrsinn zu stürzen. In der Video-Animation Shulmantonioni(2004) beispielsweise benutzt Graf ein 3-D-Computersimulationsprogramm, wie es sonst von Architekten benutzt wird. Er kombiniert dabei als Vorlage die berühmten Fotografien Shulmans, die die kalifornischen Case Study Houses zum Inbegriff modernistischer Stilverfeinerung werden ließen, mit der Villa aus Michelangelo Antonionis Zabriskie Point (1970), die in der berühmten langen Schlusssequenz – als Wunschbild der Protagonistin – detoniert. Wie bei Antonioni unterlegt mit Pink Floyds psychedelischer Sehnsuchtsmusik, wird bei Manuel Graf daraus der spröde Entwurf für distinguierte Hauskäufer, die gerne vorher wissen wollen, wie ihr zukünftiges Domizil in die Luft gesprengt werden könnte. In Grafs Videoprojektion Buchtipp (2009) geht um den Rudolf-Steiner-Anhänger Theodor Schwenk, der in seinem Werk „Das Sensible Chaos“ von 1962 Parallelen zwischen Wasserverwirbelungen und dem menschlichen Kehlkopf aufzeigt. Ein gewisser Herr Wallat – ein gesetzter, freundlicher Herr mit Halstuch – stellt uns wie für eine etwas verschnarchte Buchsendung eben dieses Buch vor – er hält es in die Kamera – und preist uns Schwenks verblüffende Entdeckung an, dass fließendes Wasser, das in ruhendes eingeleitet wird, Verwirbelungen verursacht, die eben der Form des menschlichen Kehlkopfes ähnelt. Ganz steinerianisch wird entsprechend über einen Urgrund der menschlichen Stimme im Element Wasser philosophiert. Ob Graf uns „lediglich“ einen Buchtipp geben wollte, in dem er diesen Herrn Wallat auftreten lässt, bleibt natürlich sybillinisch offen. Darin spürt man noch Polkes Strategie einer Zurücknahme des Künstlers hinter die Dinge, die er sprechen lässt.
So schließt sich an Manuel Grafs Arbeit die Frage an: ist Postironie ein Spiegelkabinett oder ein Andachtsraum? Anders gesagt: ist sie Meta-Ironie, die den Ambivalenzgrad nocheinmal erhöht, es noch unklarer macht als je, was ernst und was ironisch gemeint ist? Oder ist sie im Gegenteil Läuterung und Befreiung von den Spiegelfechtereien, eine unumwundene Rückkehr zum unverstellt direkten, so gemeinten, „authentischen“? Mit dem Begriff des „Authentischen“ hätte man zuletzt in ein weiteres Wespennest gestochen: denn nichts wird im vernetzten Medienzeitalter aufwändiger betrieben als die Inszenierung des Authentischen. Umgekehrt reklamieren ständig Werbefritzen oder Möchtegern-Popstars die Kräfte der Inszenierung und der Imagination für sich, gegen die bloße Banalität des Gegebenen. Das Problem ist nur, dass die Wahl gar nicht besteht: camp wird hohler Bühnenzauber ohne ein authentisches – eine als wahrhaftig erfahrene – Hingabe an die Inszenierung; Ironie wird stumpf und entleert ohne das authentische Anliegen, ein eingespieltes Autoritätsverhältnis auszuhebeln.
Es geht also um die gesellschaftliche Durchsetzung eines dialektischeren Verständnisses davon, was „echt“ und was „künstlich“, was authentisch und was ironisch heißt in der gegenwärtigen Überlagerung von Medienwirklichkeiten. Postironie frustriert bestenfalls ironisch jene Sorte Kunstrezipienten, die von der Kunst bestätigt haben wollen, dass sie über den Dingen stehen. Schlimmstenfalls ist sie nichts als die Angst, das Netz zu zerschneiden, das alle in Abhängigkeit voneinander hält. Zwar ist die ständige Angst herauszufallen aus dem Netz nicht unbegründet. Doch die postironisch vereitelten, verschobenen und bagatellisierten Konflikte kommen dann nur nachträglich und vertrackter zurück (als Intrige und böses Gerücht, als anonymes Online-Geläster etc.). Es gibt also nichts zu verlieren. Es wäre an der Zeit, die Kraft der Polemik nicht mehr nur den grausam Verbohrten zu überlassen.
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1 Die gesamte Jury bestand aus folgenden Mitgliedern: Joseph Fassbender, Ernst Geitlinger, Ludwig Gies, Adolf Hartmann, Karl Hartung, Erich Heckel, Bernhard Heiliger, Max Kaus, Hans Kuhn, Gerhard Marcks, Ewald Mataré, Georg Meistermann, Edwin Scharff und Ernst Schuhmacher. Vgl. Myriam Maiser, Der Streit um die Moderne im Deutschen Künstlerbund unter dem Vorsitzenden Karl Hofer. Eine Analyse der Ausstellungen von 1951 bis 1955, Dissertation, Freie Universität Berlin 2007, http://www.diss.fu-berlin.de/2007/497/ [Stand 21.9.2010], S. 75
6 vgl. dazu ausführlicher: Jörg Heiser, Sarah Khan: „Ironie als deutscher Lernprozess: Das Erbe des Lachens“, in Zdenek Felix, Ludwig Seyfarth (Hg.), The Fate of Irony (Publikation zur Ausstellung im KAI 10| Raum für Kunst, Düsseldorf 24. April – 24. Juli 2010), Düsseldorf 2010, S. 48–71
8 Interview mit Boris Groys von Brigitte Franzen und Michael Scholz-Hänsel, „Die Welt in der wir leben ist viel, viel ironischer als alle Witze, die wir denken können“, in Kritische Berichte: Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, 21/1, 1993, S. 7–16
10 z.B. Roger Rosenblatt, „The Age Of Irony Comes To An End”, Time Magazine, 16. September 2001, http://tinyurl.com/2wn9ryx