POSTIRONY

Auf dieser Seite veröffentlichen wir in unregelmässigen Abständen und ausschnittsweise Definitionsversuche des Terminus „Postironie“.

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Postironie (nach Wikipedia) (Abgerufen: 21. April 2011)

Analog zur Dekonstruktion der „großen Erzählungen“ (z.B. Fortschritt, Vernunft, Kunst) der Moderne im Zuge postmoderner Diskurse, insbesondere mit Blick auf Jean-François Lyotards Bericht Das postmoderne Wissen, setzt sich die Form der Postironie kritisch mit den Implikationen eines relativierten Wahrheitsbegriffesauseinander. Während sich die traditionelle Figur der Ironie stets auf ein Positiv beziehen konnte, zieht dessen Relativierung unvermeidlich und folgerichtig auch Konsequenzen für sein ironisches Komplement nach sich: die Ironie verliert ihre ursprüngliche ambivalente Funktion und wird als bloße rhetorische Figur zur Immunisierung einzelner Sprechakte zunehmend zum trivialen Winkelzug: Unter Verweisung auf die Möglichkeit der Ironie kann Festlegung und Verantwortung für Gesagtes vermieden werden. Postironie dagegen ist weder als die Artikulation des Wunsches nach prä-ironischer Einfachheit, noch als strikte Anti-Ironie mißzuverstehen; vielmehr ist sie als sinnstiftende Empfehlung zur Haltung zu begreifen. Eine verantwortungsbewusste Haltung, die Ironie ernst nimmt – und diese unter den Bedingungen der Gegenwart wieder produktiv zu nutzen verspricht. All das schließt Sinn für Humor nicht aus.

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Postironie (von Sebastian Plönges, 1.11.10)

„Das Problem, auf das Postironie eine Antwort sein könnte, stellt sich, sobald Ironie einmal ins Spiel gekommen ist: Man wird sie nicht wieder los. Da hilft weder Augenzwinkern noch das Beteuern, man meine das alles keinesfalls ironisch – denn solche Beteuerungen verweisen immer schon auf die Möglichkeit von Ironie. Das Problem, auf das die Postironie eine Antwort sein könnte, hört auf ein Problem zu sein, sobald man produktiv mit Paradoxien umzugehen lernt.“
(…) „In der hier vorgeschlagenen Lesart ist das Aushalten – nicht Ausschalten! – von Kontingenzen die Stärke des Postironikers, der somit eine freie und produktive Option zur Entfaltung der Ironie-Paradoxie anbietet. Er setzt alles auf eine Seite (ohne zu leugnen eine Wahl gehabt zu haben), er markiert seinen Präferenzwert, und das alles ist ihm nicht peinlich: Er trifft eine Unterscheidung und übernimmt die Verantwortung dafür.“

Auszug aus: „Postironie als Entfaltung“. Den ganzen Text gibt es hier.

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Postironischer Realismus (von Torsten Meyer)

Kann man sagen, dass Ironie virtuell ist? – In dem Sinne, dass, wer ironisch handelt, die Dinge nicht so ganz nah an sich heran lässt und immer einen virtuellen Abstand zur Welt hält? Quasi aus einer zweiten, anderen Welt heraus auf die Dinge der ersten blickt? Präironische Haltungen wären demgegenüber einem naiven Realismus zuzuordnen: Ein Prä-Ironiker steht inmitten der Welt und der Dinge und denkt sich nichts dabei. Auch der Post-Ironiker steht (wieder) mit beiden Füßen auf dem Boden, mitten im Realen (aber in einem anderen Realen), und sieht sich wieder im Sumpf des Irdischen (mit Betonung auf „wieder“). Er weiß vom Virtuellen, von der Distanz, der Ironie, dem Uneigentlichen, dem Abstand zwischen dem Sein und dem Schein und kreiert daraus ein neues Sein (hinter dem Schein): Postironie als Realismus zweiter Ordnung?

Auszug aus: „Postironischer Realismus“. Den ganzen Text gibt es hier

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Was ist Postironie? (von Diana Porr, 8.8.09)

Wir leben in einer Kultur der Fragmentierung und der Copy-and-Paste-Identitäten, der medialen Vermittlung und massenhaften Reproduzierbarkeit von einfach allem. Alles ist nur noch Zitat eines Zitats. Wir müssen uns selber zu einer Marke und Ware machen und unsere Haut zu freiem Markte tragen und wehe dem, der sich nicht rechnet.

Es scheint, uns ist die Eigentlichkeit verloren gegangen.
Wir können uns nicht mehr authentisch zu irgend etwas verhalten, weil wir, entfremdet vom direkten Erleben, diesen ganzen medienkulturellen Rattenschwanz immer schon mitzudenken. Ich glaube, wir spüren diese Entfremdung von der Eigentlichkeit und antworten darauf durch die sprachliche Entfremdung: durch die uneigentliche Rede der Ironie.

Wir sind umzingelt von “Erlebniswelten”, “Einkaufsparadiesen”, “Spassfaktoren”, “Sensationen” und “Megaevents”, die uns Konsumenten Gefühle, die jetzt Emotionen heissen, versprechen und Sinnleere verkaufen. (…)Wir finden einen Sonnenuntergang kitschig, weil er aussieht wie auf einer Postkarte. Wir haben alle eine Meinung darüber, wer Schuld hat an der Finanzkrise, aber was wissen wir eigentlich wirklich darüber, das wir nicht durch bestimmte Medien gefiltert und gefärbt erfahren haben? Haben wir irgendeine Chance, die Informationen überhaupt zu überprüfen? Und wie nah ist uns der Nahe Osten wirklich? Haben wir auch nur einen Schimmer davon, wie es sich anfühlt, da zu leben?

Und wer bestimmt eigentlich das, was wir zu wissen glauben?
Die eine unanzweifelbare Wahrheit gibt es nicht mehr, weil es die eine unanzweifelbare Autorität nicht mehr gibt: Gott ist tot, das Land demokratisch, die Ethnien und Kulturebenen gemischt und das Individuum seit Freud und der neueren Hirnforschung nicht mehr Herr seiner selbst.
Wer mag da noch Richter sein darüber, was wahr ist und was falsch, was schön und was hässlich, was gut und was böse, wofür man ins Gefängnis kommt und wofür in den Himmel?

Mit anderen Worten: Wer bestimmt unsere Werte?
Die Gesetze, die Kirche, die Eltern, die Bildungseinrichtungen, die Medien, die Werbung, die Philosophen, die Politiker, die Banker? Wer hat die Macht und das Geld, seine Wahrheit als allgemeingültig durchzusetzen?
Und welche Zwecke verfolgen die damit?

1. In Alex Shakars Roman “The Savage Girl” (2001) wird das Konzept der Postironie so hergeleitet:
Früher, als noch klar war, was Wahrheit ist und was Lüge, konnte man entweder direkt das sagen, was man meint oder man konnte ironisch sein.
Aber diese Wahrheit gibt es nicht mehr, es gibt nur noch Diskurse.
Wenn die Wahrheit so relativ geworden ist, dass alles gleichwahr oder gleichfalsch ist, dann kann man auch nicht mehr unterscheiden, was ironisch gemeint ist und was ernst. Wir sind also post-ironisch.

Mehr Freiheit bedeutet auch: mehr Ungewissheit. Wenn es keine Sicherheit durch eine unhinterfragbare Wahrheit und einen vorgegebenen Sinn mehr gibt, schafft das Ängste. Und gegen Ängste hilft das Gefühl, das Chaos durch irgendeine Art von Kontrolle beeinflussen zu können, auch wenn es nur eine Illusion ist. Das funktioniert sogar, wenn man sich bewusst ist, dass es nur eine Illusion ist: Der Glaube an eine persönlich verantwortliche höhere Macht oder ein vorbestimmtes Schicksal, der Glaube an den Staat oder die Statistik, der Glaube an Experten, Finanz-Rating-Agenturen oder Horoskope, an Heilige oder Maskottchen, Rituale, Zwangshandlungen, Wahnvorstellungen.

Wer die Ängste und Sehnsüchte (fears and desires) der Menschen instrumentalisieren kann, so Shakars These, der hat die Macht über sie.
Das ist natürlich ein höchst zynischer Ansatz.
(Die Konsequenzen dieses Verständnisses des Konzepts Postironie werden im Roman an verschiedenen Figuren durchgespielt.)

2. “If you say one thing and you mean nothing.” Das wäre das, was ich den Total-Bullshit-Ansatz nennen würde.
Kritikpunkt: Nihilismus macht politisch handlungsunfähig. Mit einem Ansatz, der jede Sinnhaftigkeit ausschliesst und damit auch die ökonomischen und machtpolitischen Entstehungsbedingungen der Diskurse ausblendet, lassen sich diese weder kritisch durchleuchten noch gar verändern.
Menschen brauchen aber, um leben zu können, wenn nicht natur- oder gottgegebene, dann aber doch kulturell entstandene und tradierte, also intersubjektive Werte- und Sinnsysteme.

3. Postironie als Anti-Ironie: Genau das sagen, was man meint.
Das wäre eine Gegenbewegung, die diese intersubjektiven Werte- und Sinnsysteme zu rehabilitieren versucht. Es ist eben nicht wurscht, was wir als richtig oder falsch ansehen. Unser Weltbild bestimmt, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir in der Welt handeln. Und unser Handeln hat Konsequenzen. Deshalb haben wir die Verantwortung für die Wirkung unseres Handelns. In diesem Sinne, und ich glaube, das ist der Sinn, den Com&Com im Sinn haben, ist Postironie eine durchaus moralische Angelegenheit, die weit über die ästhetische Ebene hinaus und direkt in die Intimsphäre der persönlichen Lebensüberzeugungen hineingeht.

Mit einer Sehnsucht nach Echtheit, Ganzheit, Unmittelbarkeit, Natürlichkeit. Wahrheit. (Anstelle von “Wahrheit” würde ich allerdings wirklich den Begriff “Wahrhaftigkeit” oder “Aufrichtigkeit” vorziehen, weil die “Wahrheit” ein Maulesel ist, der sich noch vor jeden Karren hat spannen lassen.), neue Communities, neue Mythen, eine Öffnung für neue ernsthafte Wertediskussionen.
Das Ziel wäre wohl eine neugefundene Identität mit sich selbst. Keine naive mehr, sondern nunmehr eine bewusste.
Und sie sind damit beileibe nicht die Ersten. Und ganz sicher nicht die einzigen.

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Was ist Postironie? (von Com&Com, 22.6.09)

Eine der wenigen Tatsachen von universaler (ethischen) Bedeutung in der aktuellen Welt ist die allgegenwärtig wachsende Einsicht, dass es so nicht wirklich weitergehen kann. Was kommt nach der globalen Krise, dem Zusammenbruch der alten Weltanschauung und dem einhergehenden kulturellen Wandel? Wie viele suchen auch wir nach Alternativen, nach einer neuen Sprache und neuen Bilder.

Wir verstehen Postironie  als Übungsfeld und Entwurf für eine Welt, in der sich eine neue vereinte globale Kultur und ein weltoffenes Stammessystem zu formieren beginnt, in der Gattungen gemischt und Ordnungen durchbrochen werden.

Für uns steht Postironie für:
– Wandel und Hoffnung auf eine bessere Welt, frei von Sarkasmus und Zynismus.
– Emotionalität und Mut zum Pathos und grossen Gefühlen.
– Authentizität, Nähe und Direktheit.
– eine Wiederkehr des Realen, des Einfachen und den Zauber des Alltags.
– die Feier des Lebens, die Schönheit, die Liebe und die Wahrheit.
– ganzheitliche, emotionale wie spirituelle Nachhaltigkeit und Verantwortung.
– Selbstdarstellung, als Individuum, wie in Kollaboration oder Partizipation.
– völlige Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit.

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Postironisches Manifest (von Com&Com, 30.12.2008)

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