Goodbye Tristesse

bild-16


„Wann werden wir endlich aufhören, uns dafür entschuldigen, romantisch zu sein? Warum nicht gleich? Hier und jetzt? Auf der Stelle. Wir bevölkern die Wüste mit singenden Bäumen und widerspenstigen Amseln. Wir lassen das zynische Lachen hinter uns und zögern nicht länger, naiv zu sein. Das Klischee ist kein Kitsch, es ist einfach schön. Also was meint ihr?
Bittere Zeiten lassen isch nicht mit einem Handschlag beenden. Der Zynismus ist eine zu mächtige Bastion, bewacht von Tausenden Armeen. Es braucht mehr als gute Worte. Einen Aufstand! Einen Orkan! Einen wahninnigen Lärm, der das Bewusstsein erschüttert. Und dennoch … Ich bezweifle, dass das allein riechen wird.“ aus: Camille de Toledo: Goodbye Tristesse (2005, S. 5; Orig-Titel: Archimondain Jolipunk, 2002)

Mit grad mal 26 Jährchen schrieb der Spross einer französischen Grossindustriellenfamilie (Danone etc) eine zornige Antwort auf „Generation Golf“, leidenschaftlicher und politischer. Goodbye Tristesse ist ein Gesellschaftsportrait und ein fiebriges  Pamphlet über da Leben in den Zeiten der Globalisierung, die jede Form der Rebellion zu einem Teil des Marktes hat werden lassen. – Wie kann es sein, daß uns heute der Kauf eines neuen Billy-Regals mehr beschäftigt als die richtige Lebenseinstellung? Diese Frage stellt Camille de Toledo angesichts der allgemein vorherrschenden gesellschaftlichen Gleichgültigkeit. Für ihn kann einzig der Abschied vom Zynismus, hin zu einer neuen Form politischer Unschuld, die das Wagnis eines aufrichtigen Widerstands gegen die Zwänge des Kapitalismus eingeht. Dabei verknüpft er klug die verschiedensten Ansätze der letzten Jahre von Francis Fukuyama über Jean-Luc Godard bis Naomi Klein.

Goodbye Tristesse ist eine Analyse einer Generation, die zwischen Mauerfall und Einsturz der Zwillingstürme aufgewachsen ist,  fordert einen neuen Mut politischen Handelns, eine «Romantik der offenen Augen«. Das Buch ist sowohl Kritik der Jahre, in denen Toledo erwachsen wurde – als auch Pamphlet für eine neue Geisteshaltung. Camille litt in den neunziger Jahren daran, dass er keinen Weg mehr sah zur Revolte. Weil alle um ihn beschlossen zu haben schienen, Zyniker zu sein. Er litt daran, weil sich das Kapital alles angeeignet hatte, auch die Kritik am Kapital, denn bunt und multikulturell kam dieser Kapitalismus daher, machte aus Che Guevara oder Marx Bildchen auf Kaffeetassen, aus jedem kämpferischen Slogan auf einer Hauswand einen Werbespruch für Nike. Camille de Toledo wünscht sich, dass man sich wieder traut, den Kapitalismus zu kritisieren. Er wünscht sich eine »semantische Guerilla«, die sich der Romantik und Poetik als Mittel des Protestes bedient. Wie sich dieser Protest formieren sollte, darüber hat er eher vage Vorstellungen: Er sympathisiert mit der Idee der Temporären Autonomen Zone – einer Idee des amerikanischen Anarchisten Hakim Bey –, wonach die gesellschaftlichen Regeln nur zeitlich und örtlich begrenzt außer Kraft gesetzt werden sollten. Camille de Toledos Buch ist keine Anleitung zur Revolution, kein politisches Manifest, sondern ein Bündel von Ideen.

Alex Shakar: Savage Girl / Der letzte Schrei


Shakar: Savage Girl
bild-7

Ein wichtiger Inputgeber für das postironische Manifest war „Savage Girl“ (dt Titel: „Der letzte Schrei“) von Alex Shakar.  Homepage Alex Shakar
„Shakar’s clever and provocative debut novel is something of a genre-bender. What’s best about this entertaining novel is the feast of ideas. Has too much irony been emitted into the earth’s atmosphere? Is glamour a zero-sum game? Is there a paradoxical essence at the heart of every product? Who knows. But Shakar makes it fun to contemplate…The ultra-gloss anxieties of your urbanites are on fetching display in this clever debut.“ –Publisher’s Weekly

Worum es geht: Nachdem ihre Schwester einen spektakulären Selbstmordversuch begangen hat, fasst Ursula Van Urden den Entschluss, sich mehr um sie zu kümmern. Ivy arbeitete als Model in einer futuristischen Großstadt am Fuße eines aschespeienden Vulkans. Auch Ursula zieht nach Middle City und heftet sich Ivys Ex-Freund an die Fersen, der eine Trendscout-Agentur leitet. Unversehens hat sie selbst einen Job bei Tomorrow Limited. Ursulas Aufgabe ist Chas‘ knappe Anweisung: „Geh raus. Finde die Zukunft. Bring sie mir.“ Und so taucht Ursula tief ein in die Welt der totalen Kommerzialisierung. Während Ivy sich zunehmend in geistiger Verwirrung verliert, stößt ihre Schwester auf Hurricane, ein steinzeitlich anmutendes Geschöpf, das auf der Straße lebt. Ursula wittert den ultimativen Trend, und Ivy soll das neue barbarische Rollenvorbild in der Öffentlichkeit verkörpern. Aber der große Medienhype läuft aus dem Ruder und hat fatale Konsequenzen.

INHALTLICHE KERNGEDANKEN
(Zusammenstellung: A. Hostetter)

Paradessenz
paradox + Essenz = Paradessenz
Jedes verkaufsträchtige Produkt besitzt eine „gebrochene Seele“ und hegt das Versprechen in sich, zwei paradoxe Dinge zu vereinen, wonach der Konsument sich sehnt. Paradessenz bezeichnet diese zwiespältigen Eigenschaften eines Produktes. Die Erkenntnis der Paradessenz hilft sowohl bei der Vermarktung von Produkten, als auch bei der Erkennung von Trends. Die Aufgabe der Trendscouts ist es den zwiespältigen Kern jedes Produktes herauszustreichen und den Bruch marktgerecht zu präparieren. Beispiele von Paradessenzen:
Kaffee = Anregung + Entspannung
Eiskreme = Eros + Unschuld

Postironie
Das aktuelle Trendbuch der Trendagentur verkündet den den Anfang einer neuen Ära, der Ära der Postironie. Um diese verständlich zu machen, werden verschiedene Phasen der Konsumgesllschaft erklärt:
Die präironische Phase: Ab den 50er Jahren arbeitet die Werbung mit Sinnbildern von Gesellschafttsidealen und Sehnsüchten. Um den Verkauf zu steigern, werden Produkte übertrieben positiv dargestellt oder mythisch aufgeladen. Allmählich empfinden die Konsumenten Werbung als Mechanismus, um Trugbilder zu erschaffen und künstliche Bedürfnisse zu erzeugen. Übersteigerung von A, B, C = Kauf von A, B, C
Die ironische Phase: Viele Konsumenten entwickeln eine kritische Haltung gegenüber Werbung und distanzieren sich von ihr mithilfe ironischer Kommentare. Die Werbebranche reagiert auf den Wandel der Konsumenten, indem sie deren kritische Haltung gegenüber Konsum einnimmt. Die ironische Werbekampagne macht sich über die leeren Versprechen bisheriger Werbung lustig, um ihr eigenes Produkt zu vermarkten. Kritik an A, B, C = Kauf von D, E, F
Die postironische Phase: Um die jungen Konsumenten noch erreichen zu können, muss die Ironie immer dicker aufgetragen und bösartiger werden. Zynismus und (ironische) Kritik ist so allgegenwärtig geworden, dass sich nicht mehr feststellen lässt, was nun ernst gemeint ist und was nicht. Die Grenzen verflüssigen sich. „Unsere Kultur ist dermassen durchdrungen von ironischen Zweifeln, dass sie beginnt ihr Verfahren des Zweifelns anzuzweifeln.“ Kritik an A, B, C = Kauf von A, B, C

FAZIT:
Postironie = ironischer Ernst
Die Paradessenz von Postironie = 
Schizophrenie
Schizophrenie = der neue Megatrend schlechthin