Plädoyer gegen herkömmliche Ironie: DAS ERBE DES LACHENS (TEIL 1)

von Jörg Heiser und Sarah Khan, 8.5.2010, first published on artnet

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Falls es stimmt und die Deutschen vielleicht wirklich keinen ausgeprägten Humor haben, dann haben sie doch eines ganz bestimmt: Humorprobleme. Eine möglichst selbstquälerische Beschäftigung mit Ironie ist eines dieser typischen Humorprobleme. Man muss hier also sofort die deutsche Problemfahne aufpflanzen, stellt dann aber fest: Umberto Eco war schon vorher da, zumindest hat er schon in den 1980ern ein Buch mit dem Titel „Lüge und Ironie“ veröffentlicht. Was es damit auf sich hat, bleibt noch zu prüfen. Die deutsche Fahne kann aber auf jeden Fall schon mal im Tornister bleiben. Humor als Nationalsport aufzufassen – wer hat den besseren – führt vor allem dazu, Defizite zu beschwören.

Beschwören wir also das Defizit: Monty Python waren natürlich schon so was von vorher da. Es gibt einen Sketch, in dem Ironie nicht nur ein Problem ist, sondern Todesangst verbreitet. Wir meinen nicht jenen Sketch mit dem absolut tödlichen Witz, der seine Opfer vor Lachen sterben lässt und dessen deutsche Übersetzung die britischen Truppen als Geheimwaffe 1944 an der Front einsetzen („Wenn ist das Nunstruck git und Slotermeyer? Ja! … Beiherhund das oder die Flipperwaldt gersput!“ – da purzeln die Scharfschützen der Wehrmacht nur so aus den Bäumen). Sondern den Sketch mit dem Betreiber eines Escort-Service namens Luigi Vercotti, der von Schutzgelderpressern, die taktische Nuklearwaffen bei sich tragen, um eine Dreiviertelmillion Pfund angegangen wird. Nachdem der Scheck sich als ungedeckt erwies, erzählt er, kamen sie wieder und drohten mit Doug. Wer ist Doug, fragt der Reporter. Die Kamera geht ins Close-Up, Schweiß auf der Stirn, noch ein kräftiger Schluck Whisky, bevor der harte Bursche gesteht: „Ich habe erwachsene Männer gesehen, die sich lieber den Kopf abrissen, als Doug gegenüber zu treten…“ Was hat er getan, fragt der Reporter. Luigi verstummt noch einmal, schluckt, bevor er mit brüchiger, bebender Stimme sagt: „Er benutzte … Sarkasmus! Der kannte alle Tricks, dramatische Ironie, Metapher, falsches Pathos, Pointen, Parodie, Litotes und … Satire.“ Es hat etwas Befreiendes, dieses Gefühl, dass viele Leute mit der Ironie Probleme haben. Es darf weiter gegrübelt werden. Ironie in Deutschland und in der Kunst. Da kommt man an Martin Kippenberger nicht vorbei. Er war auch schon da. Was davon in der Gegenwart übrig bleibt, werden wir sehen. Aber auch bei Kippenberger geht die Reise erst einmal in die Vergangenheit.

Kippenberger, der eine Reihe Kunstwerke geschaffen hat, die als ironische Kommentare zu Nazi-Deutschland aufgefasst werden können, gilt als einer der schillernden, großen Künstler der Achtziger Jahre. Betrachtet man seine Arbeit auch als mitgeformt von mentalitätsgeschichtlichen Vorgängen, spielt ein anderes Jahrzehnt eine größere Rolle: Die Fünfziger Jahre, in die er geboren wurde, die Zeit der prosperierenden Bundesrepublik Deutschland. Der Schriftsteller Rainald Goetz, ebenfalls in den Fünfzigern geboren und ein Wegbegleiter Kippenbergers, hat diese Zeit auf den Punkt gebracht: „Was ist DIE Bedingung der 50er Jahre? Das Schweigen.“ (Goetz, „Jahrzehnt der Schönen Frauen“, 2001). Das Schweigen über die Vernichtung der Juden, in die die gesamte Bevölkerung verstrickt war, und die vielfältigen sozialen, materiellen und kulturellen Zerstörungen, die zu verantworten waren, hat aber auch ein unmittelbares Komplement in dieser Zeit: eine eigenartige Lachexplosion, beginnend mit dem Wirtschaftswunder und der sogenannten „Fresswelle“. Der Schriftsteller Uwe Timm beschreibt in seinem Buch „Am Beispiel meines Bruders“ (2003) diese Atmosphäre anhand eines Festes unter Hamburger Kürschnern: „Wenn ein Fest gefeiert wurde – und in jenen Tagen feierte man viel – wurde ein junger Mann, der ein kleines Kürschnergeschäft betrieb, zu uns gebracht. Dem Mann waren beide Beine abgeschossen worden. Kollegen fuhren ihn im Auto zu uns. Der Vater trug ihn auf den Armen in die Werkstatt. Dort, auf einer großen Zweckplatte, war gedeckt worden, Kassler Rippchen und Würstchen mit Kartoffelsalat. Der Mann, dessen Beine unmittelbar unter dem Rumpf amputiert worden waren, wurde auf einen Stuhl gesetzt. Hin und wieder trug der Vater ihn zur Toilette. Es wurde viel gelacht, und auch dieser Mann lachte, konnte lachen, laut undherzhaft, worüber ich als Kind erstaunt war, wie er dasaß, sich mit den Händen an der Zweckplatte festhielt und lachte, sich ausschüttete vor Lachen.“

Wenn man die Requisiten der sich langsam ausprägenden Witzstandards ansieht – die Bananenschale, das Hörrohr, der vom Hund gejagte Postbote, das Ehepaar im Kannibalenkochtopf – kann man kaum glauben, dass darin die Ursache dieser Fröhlichkeit liegt. Nein, den legendären killing joke, der so übermächtig ist, dass er tödlich wirkt, sucht man hier vergeblich. Das Lachen bedurfte nur einiger schwacher Legitimationen, um abgesondert zu werden, keiner Kunstfertigkeit. Gewollt war Stimmung und Gemütlichkeit, ein Miteinander aller zu Opfern gewendeten Nazisekretärinnen und Wehrmachtsoldaten, und mit ihnen all jener tatsächlich opferhaften Überlebenden und „inneren Emigranten“, die nun gemeinsam gewillt waren, nur noch nach vorne zu schauen, nicht zurück. Nennen wir diesen Humor „Zombie-Humor“, weil dessen Lebenskraft sich nicht aus der Humoristik gespeist hat, sondern aus etwas so Tot-Lebendigem wie weggeschossenen Beinen vor einem Teller Kassler Rippchen.

Was hat nun Kippenberger damit zu tun? Er hat diese Zombie-Humor-Gesten als solche aufgeführt, er hat sie über die Grenze des Erträglichen dorthin geführt, wo sie hingehören, ins Land ohne Pointe und Auflösung. Vor allem Martin Kippenberger – und anfänglich auch der eher zurückhaltende Albert Oehlen im Verbund mit Kippenberger – waren prädestiniert für den Zombie-Humor, denn sie sind Söhne von selbst ganz kaputten Humoristen. Der Vater von Albert Oehlen,Adolf Oehlen, war Illustrator und Karikaturist, er zeichnete in der Nachkriegszeit einige Humorbücher wie 1971 den Band „Astronautenlatein. Raumfahrt wie sie keiner kennt. Garantiert ohne Vorwort von Wernher von Braun“. Wernher von Braun, der SS-Sturmbannführer und Entwickler der „Vergeltungswaffe V2“, der geschätzte 12.000 KZ-Insassen bei der Serienproduktion und 8000 Menschen beim Einsatz in London das Leben kostete (weitere Opfer gab es in Belgien, Niederlande, Frankreich)? Jener Herr von Braun, der nach dem Krieg mit der bemannten amerikanischen Raumfahrt zu Ruhm und Popularität aufstieg und 1970 Vizedirektor der NASA wurde? Dass die offene, fast nichts sagende Formulierung „Garantiert ohne Vorwort von Wernher von Braun“ für die deutschen Witzbuch-Leser von 1971 einen lustvoll ambivalenten Mehrwert besitzen sollte, erscheint heute mindestens eigentümlich. Zumal der Bildwitz in Adolf Oehlens „Astronautenlatein“ dann eher ganz unambivalent nach einfachem Muster gestrickt ist, wie etwa dieser: Ein Mann steht verliebt neben einer Frau, die drei Brustpaare übereinander hat. Neben dem Paar stehen zwei Männer. Sagt der eine zum anderen: „Hat sich dieser Snob von der Milchstrasse mitgebracht!“

Martin Kippenbergers Vater Gerd Kippenberger war ein studierter Bergmann, später Bergwerkdirektor. Er hatte eine künstlerische Ader, er schrieb und zeichnete mehrere Bücher mit Zombiewitz, u.a. das Werk „Losgelassen. Mit Bronze vergoldete Abenteuer“ über die lustigsten Ferien seines Lebens, Zweiter Weltkrieg inbegriffen. Er war an der West- wie an der Ostfront dabei, beim Überfall auf Polen wie an der guten Luft Nordfrankreichs und selbst in der Kälte Russlands. Er hat den Zweiten Weltkrieg in einer seltenen Vielfältigkeit erlebt, und überlebt. Schreiben konnte er nur im Lustig-Modus, über die Abenteuer beim Fronturlaub, die ihm Herz und Eisbein erwärmten. „Mein Kriegsrezept heißt dann: Pfeif ein Lied, wenn Du mal traurig bist“, zitiert ihn Susanne Kippenberger in ihrer Biografie über ihren Bruder Martin. „Er muss viel Gelegenheit gehabt haben zum Pfeifen. Es gab eine Zeit, da niemand mehr mit ihm in eine Kompanie wollte, weil er immer der einzige Überlebende war.“ (S. Kippenberger 2007, S.35). Die Söhne dieser Männer, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, hatten von ihren kunstsinnigen Vätern ein dolles Repertoire kaputter Witze geerbt. Vor allem Martin Kippenberger sagte tausendmal ja zu diesem Erbe, um damit aber zugleich etwas anderes anzustellen. Hier einige Beispiele:

Beispiel 1 – Gesang als Waffe
Gemeinsam aufstehen und singen. Das tat Kippenberger mit den sogenannten „Hetzler-Boys“ (d.h. dem Kreis um Kippenberger und dessen Galeristen Max Hetzler) in den achtziger Jahren. Der Kern ihrer Praxis bestand darin, die Kunstszene in Kneipen und Restaurants mit Männergesangsvereinsübungen zu terrorisieren.

Beispiel 2 – Die Nudel
Kippenbergers Insistieren auf der Glorie der so nahrhaften wie wohlschmeckenden Nudel. Hier artikuliert sich seine ganz eigene Variante jenes Verpflegungshumors, der vom Militär herrührt, aber auch in der Italiensehnsucht fresssüchtiger Nachkriegsdeutscher wiederkehrt. Dass das Thema Nudel unter Kippenbergers Zurichtung letztlich Kunst-Sinn machte und Akzeptanz fand, war seine Leistung. Das Material selbst war panne, und damit Kippenberger-geeignet, weil eben nicht taufrisch und originär und sakral. Die Zeitgenossen müssen die ermüdende Anspielungsbreite des Materials – von Dolce Vita bis Traum der Kinderlandverschickung – verstanden haben.

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