Plädoyer gegen herkömmliche Ironie: DIE JAGD NACH DEM EIGENEN SCHATTEN

von Carsten Probst, 23.4.2010, first published on artnet

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Dieses Problem allerdings ist nicht ihre einzige Schwierigkeit. Tatsächlich funktionieren offene Kalauer oder Witze ganz anders als die Ironie des Deadpan. Witze kündigen Konflikte an, um sie dann im Gelächter zu umgehen. Die in der Erwartung des Konflikts entstandene Anspannung entlädt sich als Freude über den am Ende doch nicht stattfindenden Konflikt oder, freudianisch, als Lustgewinn durch ersparten Energieaufwand. Insofern kann der Witz zwar kritische Haltungen äußern, aber seine Ambivalenz und damit seine Dynamik endet mit der Pointe. Die Ironie als rein dialektisierendes Stilmittel funktioniert ähnlich. Zu Zeiten autoritärer Unterdrückung und entsprechend polarisierter Opposition haben beide eine wichtige Funktion, als oft einzige verfügbare Mittel, oppositionelle Inhalte zu äußern. Die Witzigkeit hängt dann weniger von der humortechnischen Qualität ab, als davon wie „unsagbar“ die implizierten Äußerungen sind. Aber das ist in der Hochkunst gegenwärtig nicht das Problem. In unserer permissiven und zynisch geschulten Kultur ist nahezu alles sagbar. Wenn man Komik weiterhin satirisch einsetzt, spielt man damit einer überkommenen Vorstellung schlichter Entweder-Oder-Opposition in die Hände, die einem notwendigen intersubjektiven Verständnis der Konflikte nicht gerecht wird. Ähnlich wie die politische Satire könnte die Kunst feststellen, daß der offene komische Angriff eine kurzlebige und bequeme Geste geworden ist, die unter den gegebenen Bedingungen eher affirmative als kritische Funktion hat. Mit anderen Worten: Die Kunst bekommt ein zweites Problem. Es ist ein Bedeutungsproblem. Im Grunde genommen hat sie es schon.Andere dagegen sind schon weiter. Die Kunst muss nur den Profis über die Schulter sehen, um das zu erkennen. Die Konsequenzen nämlich, die in der Satirebranche aus der neuen Harmlosigkeit der alten Mittel gezogen werden, sind breit gefächert. Während einige die Lage ignorieren und sich als institutionalisierte Dissenzdarsteller damit abgefunden haben, mit ihrem Publikum alt zu werden, suchen andere Unterschlupf in der professionalisierten Comedybranche, in der es aber oft weniger um Humor geht, als um Stimmungen, um eine Form kollektiver Lachwilligkeit, die an sich nicht komisch sein muß. Andere konzentrieren sich auf die Bereiche und Formen, in denen klassische Satire noch – oder wieder – funktioniert. Besonders in den USA, wo die Fernsehunterhaltung aufgrund des gewachsenen ökonomischen Drucks (der in seiner Wirkung auf die Programmstruktur der autoritären Zensur durchaus vergleichbar ist) kaum noch Raum für abweichende oder komplexe Positionen bietet, ist zu beobachten, dass Komiker wie John Stewart oder Steve Colbert sich zusehends die Aufgaben des kritischen Fernsehjournalismus zu eigen machen. Nach einer Umfrage des „Time Magazine“ im vergangenen Juli galt der Komiker und ausgebildete Psychologe Stewart mit seiner „Daily Show“ aus erfundenen Meldungen mit Abstand als die „most trusted News Source“ in den USA. Der Komiker Stewart geht dem Publikum als Journalismus-Kritiker durch. Dies ist eine faszinierende Entwicklung, aber komischer sind weder Colbert noch Stevens dadurch geworden. Ihre wachsende Bedeutung hat viel mehr mit dem Machtzuwachs von Fox News und einer Vielzahl anderer, christlich-konservativer Medienfiguren und –organe zu tun als mit einem geänderten Komikbegriff. Vielleicht macht die Erosion journalistischer Ethik und Vielfalt Phänomene wie die „Daily Show“ zum letzten Refugium unzensierter Kritik? Lachen als letzter Widerstand?Wo die Verhältnisse als so totalitär wahrgenommen werden, sind Doppelagenten die interessanteren Strategen. Es ist eine Minderheit unter den Satirikern, die versuchen, sich mit komplexen und unscharfen Strategien der Situation zu widersetzen. Sie agieren gewissermaßen als größte Fans der falschen Seite. Im Sommer 2002 machte die Satirezeitschrift „Titanic“ verschiedenen Mitgliedern des FIFA-Exekutivkommittees, Fußballfunktionären, die in Zürich tagten, um den Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2006 zu wählen, fingierte Bestechungsangebote, mit dem erklärten Ziel „die WM nach Deutschland zu holen“. Aus diesem anfangs eher dilettantisch angezettelten Streich wurde vor allem deshalb ein internationaler Skandal – und überaus erfolgreiche Medienaktion – weil er nicht als Kritik, sondern als übereifrige Affirmation deutscher Begehrlichkeiten — und als Bestätigung ausländischer Vorurteile — verstanden wurde.Versucht die zeitgenössische Kunst sich auf diesem Terrain, scheitert sie häufig an ihrer eigenen Ambition und verwechselt Komik und Provokation. Der dänische Künstler Henrik Plenge Jakobsen etwa war so ein Fall, als er Mitte der Neunziger Jahre dem staunenden Publikum eine „Lachgaskammer“ präsentierte. Der Titel war ein simples Wortspiel, dessen komische Energie, vor allem in der Tendenz des Witzes liegt: in der tabuisierten Verbindung von „Lachen“ und „Vergasen“. Später schlug Jakobsen die Arbeit als Beitrag zu einer Ausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück vor. Die Kuratoren lehnten den Vorschlag wie zu erwarten ab. Der Künstler rechnete es sich wohlmöglich als Provikationserfolg an. Davon abgesehen, dass das Projekt ein Exempel eher simpler Komik ist, bietet es ein gutes Beispiel für die Hilflosigkeit der klassischen Avantgardemethoden, in diesem Fall der Provokation. Wenn bestimmte Manöver einmal als Standards akzeptiert sind, haben Künstler, die sich ihrer naiv bedienen, der kunsthistorischen Neutralisierungsmaschine nichts mehr entgegenzusetzen. Sie machen Genrekunst. Trotz des Willens, um jeden Preis zu provozieren, bleibt die Lachgaskammer harm- und folgenlos. Sie ist als bemühtes Suchen nach verbleibenden Tabus (oder humortechnisch ausgedrückt: nach eingebauter Fallhöhe) durchschaubar. Man sieht daran vor allem, wie weit man in der Hochkunst gehen muss, um überhaupt noch jemanden zu verärgern. Gerade das ist das Problem aller Humortechniken in der Bildenden Kunst: Wie bei den einstudierten Witzchen der Musikantenstadl und Prime-Time-Unterhaltungsshows lacht man unter Gleichgesinnten. Nur noch der Verstoß gegen die guten Sitten kitzelt hier jemanden wach.Für diejenigen, die weiter an einer kritischen Wirkung der Kunst interessiert sind, geht es nun darum, weder nostalgischen Oppositionsmodellen nachzuhängen, noch sich als Nischenbetrieb in die Unterhaltungsindustrie einzugliedern. Dafür muss ein verändertes Verständnis der Kritik in Kauf genommen werden: als eine standortfreie, bewegliche, unverantwortliche und teleologisch indifferente Praxis, die ritualisierte politische Diskurse ebenso ausbootet wie die Redundanz der Unterhaltung. Künstler, die in diese Richtung denken, nehmen den Unterhaltungsauftrag in der Regel erst einmal enthusiastisch an, um ihn dann durch Mehrdeutigkeit oder Überaffirmation umzulenken oder in Ungeschicklichkeit versanden zu lassen. Mike Smiths Comedyshows gehören in diese Kategorie genauso wie die Stand-Up Comedy Neil Hamburgers und die Arbeiten des Konzeptualisten Stephen Prina. Sie alle halten am Ende etwas anderes als sie vorher versprochen haben und sind weder als affirmativ noch als kritisch zu fixieren. Das Komische in den Skulpturen Franz Wests läßt sich nicht als Witz decodieren und bleibt daher offen und vieldeutig. Die oft kritisierte Ironie, mit der Jeff Koons seine säkularen Paradiese vorführt, ist konsequent hermetisch, so daß man sich fragen muß, ob seine Arbeit nicht mit derselben Berechtigung als identisch und affirmativ lesbar ist.Diese Tendenz zur semantischen Renitenz ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit dem Rückzug ins auratisierte Hochkunstreservat. Sie findet nämlich auf vergleichbare Art in den Randbereichen der Massenunterhaltung statt. Seiner Zeit um fast 20 Jahre voraus, hat sich der hochbegnadete Komiker Andy Kaufman, der nach eigenem Bekunden „nie einen Witz erzählt hat“, schon in den 80er Jahren spektakulär und schizophren jeder interpretativen Einordnung widersetzt. Ein späteres Beispiel bot Wes Andersons Film „Rushmore“, der mit einem großartigen Sinn für Pointenverweigerung und verschlepptes Timing unentscheidbar zwischen Melodrama, Slapstick und Gesellschaftssatire pendelt. Zuletzt hatten Olli Dittrichs Live-Improvisationen in den Spartenprogrammen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine ähnliche Funktion für ein bescheidenes, aber nicht unbeachtliches Fernsehpublikum. Die Musik Daniel Johnstons und einige der geheimnisvolleren Nummern Helge Schneiders, sind meiner Meinung nach ebenfalls effektive Renitenzapparate. Für Renitenz aber ist die höfliche Ironie gegenseitigen Einverständnisses, wie der Kunstbetrieb sie belohnt, viel zu domestiziert. Es fehlt hier nicht nur an Bosheit, oft auch an Tragik oder an der Bereitschaft von einer Minute auf die andere ernst zu sein. Verstockt.Denn was diese Beispiele gemein haben, ist eine Haltung des Deadpan ohne Give-Away, einer Komik ohne verständnisheischendes Augenzwinkern. Allerdings dient Deadpan in diesem Zusammenhang nicht mehr, wie in früheren Zeiten, der Differenzierung der Hochkunst vom Pop, sondern er bietet beiden, der Hochkunst und der Unterhaltung, einen Ausweg aus der kritischen Irrelevanz. Die amerikanische Theoretikerin Candace Lang hat dieses Phänomen als „sustained irony as a philosophical position” beschrieben[4]. Sie unterscheidet zwischen Ironie als aufklärerisch eingesetzter rethorischer Technik und einer – traditionell als irrational und unverantwortlich verrufenen – permanent ironischen Haltung, die sie Humor nennt. Ein derartiger Humor widersetzt sich dauerhaft der interpretativen Bewältigung und bleibt unentscheidbar. Er ist komisch – allein schon weil er widersprüchliche Scripts aufruft – ohne witzig zu sein, d.h. ohne versöhnende Pointe. Die Reaktion des Publikums ist daher kein schallend-selbstsicheres, alles unter sich begrabendes Lachen. Sie ist auch nicht das wissende, vom Ellenbogenstoß begleitete Kichern einiger Eingeweihter, sondern ein zögerliches Lachen, das sich nicht vollkommen sicher sein kann, ob es hier etwas zu suchen hat und das jederzeit in andere Empfindungen umschlagen kann. Es entsteht ein offener interpretativer Fluß, der kulturelle Standards und Bewerungen effektiver aushebelt als der direkte satirische Angriff. Konventionelle Ironie gibt es mittlerweile in der Kunst und auch sonst überall mehr als genug. Humor im Sinne Langs wird dagegen immer noch dringend benötigt.

[1] Für die Sloterdijk den Begriff des „aufgeklärten falschen Bewußtseins“ geprägt hat.
[2] Daß die meisten Titanic-Redakteure FDP-Mitglieder sind, mag – so möchte man jedenfalls hoffen – ähnlicher Logik entsprungen sein.
[3] Henrik Plenge Jakobsen : Laughing gas chamber, Copenhagen, August 1996. Jakobsen schildert sein Projekt jenseits aller historisch-provokativen Konnotationen als kunstinstitutionskritisches Projekt „in order to make it possible to get stoned within the institution. A very simple, a immaterial critique. I have to stress that Laughing gas chamber is not about transgression or transcendental state in any perspective, what so ever.“ Der Arbeit mit dem provokativen Ansatz gingen sogenannte „Gas actions“ u.a. in Paris voraus, bei denen lediglich Lachgas inhaliert wurde. Dieser performative Aspekt des Werkes, der meiner Meinung nach von der Komik des Titels eher negativ beeintrachtigt wird, steht hier allerdings nicht zur Diskussion.
[4] Lang, Candace. Irony/Humor: Critical Paradigms. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1988.

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