Plädoyer gegen herkömmliche Ironie: DEADPAN 2.0

von Olav Westphalen, 23.4.2010, first published on artnet

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Wer das Missbehagen an der Ironie verstehen will, muss begreifen, warum der Kultur die Komik so abgrundtief verdächtig ist. Charles Baudelaire beklagte sich in seinem Essay „Das Wesen des Lachens“ darüber, daß die Karikatur – und man kann dies getrost auf komische Formen im allgemeinen ausweiten – von seinen Zeitgenossen nicht als Kunst annerkannt wurde. Das ist nun über 150 Jahre her. Trotzdem hatte sich daran bis vor kurzem nicht viel geändert. Komik und Ironie waren der Kunstkritik und dem Publikum suspekt und wurden in der Regel nur dann toleriert, wenn deren Verstöße gegen den Sinn – oder um es auf Linguistisch zu sagen: ihr subversiver Widerstand gegen die Übereinstimmung von Signifikat und Signifikant, gegen die Deckungsgleichheit von Bedeutung und Bedeutetem also – ordentlich begründet und abgegrenzt wurden. Nur als lokal begrenzte Kunstgriffe im Rahmen eines höheren, rational begründeten Zusammenhangs kann das Kunstpublikum Komik und Ironie ertragen. Dann also, wenn die Sinnverwischung eingezäunt wird und einer guten Sache dient. Humor als Ultima Ratio.

Der Grund dafür ist der Legitimationsbedarf der Kunst, die selber als unsichere Kantonistin verdächtig ist. Die Hochkunst stützt sich um ihrer eigenen Sicherheit willen auf eine sonore Aura der Ernsthaftigkeit, um ihre gesellschaftliche Sonderstellung zu rechtfertigen. Künstler, die lustige Ideen hatten, hielten es in der Regel für nötig, diese in einem Ton unerschütterlicher Ernsthaftigkeit vorzubringen. Wenn Joseph Beuys zum Beispiel ohne eine Miene zu verziehen zu Protokoll gibt: „Von meinem Gesichtspunkt ist es undenkbar, daß man noch jemals einen Menschen streicheln kann, ohne sich Fettecken gemacht zu haben“, und der Interviewer dazu artig nickt, dann ist das natürlich superkomisch. (Besonders vielleicht, wenn der Interviewer den schönen Namen Keto von Waberer trägt.[1]) Ob die Schar der Beuysjünger darüber lachen konnte, ist allerdings fraglich.[2] Über den Messias grinst man ja nicht. Auch Marcel Duchamps erfrischend alberner Humor, der fast immer auf die simple Technik des Wortspiels baute, war für die Kunstwelt nur im Kombipack mit seiner vermuteten alchemistischen Geheimwissenschaft und seinem langjährigen, von Beuys selbst als Auratechnik interpretierten Schweigen akzeptabel.

Die vorherrschende Attitüde lustiger Hochkunst war demnach das, was die Komiker „Deadpan“ nennen: die todernste Präsentation lustigen Materials. Andy Warhol ist ein Musterbeispiel, aber generell mussten Künstler den „Straight Man“ spielen. Nur so konnten sie die Komik ihrer Arbeit zum gebotenen Zeitpunkt leugnen und doch noch den Hochkunstbonus genießen. Natürlich gab es immer wieder Ausnahmen wie die Berliner Dadaisten, die mit der Scheinseriösität des Deadpan nichts zu tun hatten. Aber sie können als entschuldbarer Sonderfall interpretiert werden und es ist kein Wunder, dass die Kunstgeschichte den aggressiven DADA-Nonsense nicht komisch gelesen hat, sondern ihn als tragisch empfand, als eine Form des therapeutisch verordneten Wahnsinns, der als Antwort auf den „Wahnsinn des Krieges“ gerechtfertigt war; als Unsinn also, der die Sinnlosigkeit sichtbar macht und damit im Dienste einer höheren und aufklärerischen Wahrheit stand. Was für eine Entlastung, wenn man die Sinnverweigerung wenigstens als Anschlag auf die Tyrannei des Bösen deuten kann. Unter besonderen Umständen ist Irrsinn eben eine legitime Waffe.

Seit den 90er Jahren hat sich die Situation dann allerdings grundlegend verändert. Parallel zum Comedyboom in den Medien, wollte auch die Kunstwelt endlich etwas zu Lachen haben. Die Kunst begann Komik zu lernen. Die Frage ist allerdings, wie nah sie dabei der Unterhaltungskomik gekommen ist. Was in der Kunst als komisch gilt, ist oft nur komisch, weil es eben genau dort stattfindet. Anderswo würde es kaum ein müdes Lächeln bewirken. Damit meine ich nicht das Phänomen des Insiderwitzes, dessen Bezüge zu spezifisch sind, um außerhalb des Kunstbetriebs verstanden zu werden, sondern die Frage der Fallhöhe. Die Hochkunst genießt immer noch eine Ausnahmestellung, die implizit zur Ernsthaftigkeit verpflichtet. In dieser Kirche der Ernsthaftigkeit genügt es oft schon, die Absicht zur Komik zu signalisieren, um für lustig gehalten zu werden. In der Comedywelt ist es umgekehrt: Nichts ist unkomischer, als die erkennbare Absicht, komisch zu sein[3]. Komik entsteht aus der Verknüpfung zweier widersprüchlicher Zusammenhänge oder Scripts. Im klassischen Witz sind es Set-Up und Punchline: Prämisse und Pointe.

Wie witzig Witze wirken, hängt sowohl von der Art und Weise ab, in der wir von Script A zu Script B gelangen, also von der Eleganz und Geschwindigkeit der widerspruchsvollen Verbindung, als auch von der semantischen Distanz zwischen A und B, dem Kontrast der Bedeutungen: der Fallhöhe. Im Gegensatz zur Hochkunst, muss die Gebrauchskomik ihre Fallhöhe nämlich aus eigener Kraft erklimmen. Die dritte Koordinate der Komikerzeugung, die Freud die „Tendenz des Witzes“ genannt hat, liegt in der inhaltlichen Tabuverletzung, d.h. in dem Grad, in dem der Witz uns den Genuss erlaubt, verbotenes Material auszusprechen. Doch dazu später mehr. Generell trifft, was für den Textwitz gilt, auch auf situative Kontexte zu. Ein Komiker tritt auf die Varietébühne. Dies schon stellt ein Script dar, das „Lachen“ ankündigt. Sagt der Komiker nun: „Ich habe neulich einen Superwitz gehört, den erzähle ich Euch jetzt“ – dann vergibt er gerade die erste Gelegenheit zu einem komischen Kontrast.

Ganz anders wirken komische Hochkunsterzeugnisse wie z.B. Sigmar Polkes frühe Kugelschreiberzeichnungen, wenn man ihnen im New Yorker Museum of Modern Art begegnet oder Dan Perjovschis satirische Cartoons, wenn sie zur Rauminstallation ausgedehnt die Wände des Museums Ludwig bedecken. Die erste Reaktion der Betrachter ist oft freudige Überraschung darüber, daß hier im Allerheiligsten der Kunstwelt so unbekümmert vor sich hingekritzelt wird. Entsprechend werden diese Zeichnungen oft als sehr lustig beschrieben. Aber sind sie das wirklich? Als Test schlage ich vor, einige von Polkes Zeichnungen auf die Cartoonseiten einer Zeitung zu stellen oder in einem Comicmagazin zu drucken. Ich bezweifele, dass sie in diesem Zusammenhang große Lacher provozieren könnten, weil sie eben keine abgeschlossenen Witze, sondern komische Manöver vor allem in Bezug auf ihren übermächtigen Kontext sind. Perjovschis Zeichnungen haben zwar oft klassischen Witzcharakter, würden in einem Mainstream-Kontext allerdings offenbaren, wie traditionell satirisch sie operieren. Das heißt, dass sie abgesehen von ihrer Rekontextualisierung als aktuelle Kunst (auch hier in den relativ braven Formen des Wandbildes bzw. der Malperformance) in keiner Weise kritisch oder neugierig mit komischen Formen umgehen und ihren beträchtlichen Erfolg wiederum vor allem ihrem unkomischen, und an Komik eher ungeschultem Umfeld zu verdanken haben. Zuweilen wird hier die verschmitzte Sympathie mit dem Verstoß gegen das Ernshaftigkeitsgebot bereits mit der Komik selbst verwechselt.

Der Vorsprung an Fallhöhe, auf den die Kunst sich immer verlassen konnte, hat sich allerdings in den knapp 20 Jahren zwischen Britpop und Bernie Madoff dramatisch verringert. Die Aura der Hochkunst ist zusehends von einem über Glamour, Celebrity, und inflationaere Produktionsbudgets regulierten Wertsystem verdrängt worden, Damien Hirsts Arbeit ist ein gutes, wenn auch inzwischen strapaziertes Beispiel für eine künstlerische Praxis, die sich mit den Spektakeln der Massen- und Medienkultur zu messen versucht. Sie ist thematisch ein ironischer Aufguß konventionell gestellter Fragen rund um die existentiellen Dauerbrenner Sex, Tod und Verwesung. Die Ironie funktioniert bei Hirst als habituelle rhetorische Formel, deren witzelnde Oberflächenaussage die eigentliche Bedeutung kurzzeitig negiert – um am Ende die Aufmerksamkeit auf eben diese, eher plattfüßige Beschwörung der Vanitas zurückzulenken. Die Dauer des ironischen Aufschubs läßt sich dabei in Sekundenbruchteilen messen. Humoristisch und intellektuell ist sein Werk also nicht bemerkenswert. Die Intensität der Materialschlachten und die Erhabenheit der schieren Summen Geldes, die Hirst zu mobilisieren versteht, sind dagegen atemberaubend. Aber das trifft natürlich noch viel mehr auf den gesamten Bereich der superlativen Unterhaltung zu, wie z.B. James Camerons „Avatar“, den DisneySea Park in Tokyo oder – in noch beeindruckenderen Größenordnungen – auf massenwirksame Architektur wie den Burj Khalifa-Turm in Dubai.

Mit der Erosion der Grenze zwischen Kunst hier und Restkultur dort ist auch der Druck zur Kryptokomik verschwunden. Wer in der Kunst witzig sein will, kann das heute offen tun. Kalauer und Albernheiten werden gern gesehen, weil sie den Eventmanagern helfen, die erhöhten Unterhaltungserwartungen des anschwellenden, touristisch-eingestellten Publikums zu erfüllen. Statt doppeldeutiger Deadpanstrategien gibt es daher zunehmend offene Witze, Kalauer oder komödiantische Inszenierungen. Allerdings birgt diese Entwicklung, so befreiend sie anfänglich gewirkt haben mag, zwei grundlegende Probleme. Erstens wird sich die komische und unterhaltungswillige Kunst, wenn diese Tendenz anhält, schon bald nicht mehr allein an den weniger lustigen Hervorbringungen der eigenen Disziplin messen dürfen. So bald ihre Komik erwachsen wird, muss sie wohl oder übel mit der professionellen Unterhaltung konkurrieren, die mit vielfach höherem Budget und unter verschärft professionalisierten Bedingungen produziert wird. Das würde bedeuten, daß Damien Hirst und Paul McCarthy sich tatsächlich an Disneys „Magic Kingdom“ messen lassen müssten, oder zumindest der spektakulären Inszenierung des New Yorker Natural History Museums. Am anderen Ende der Skala würden die smarten cartoonhaften Zeichnungen von David Shrigley nicht mehr als Wohltat und subversives Gegenmittel zu, sagen wir mal, Brice Mardens nicht-totzukriegender Fließbandästhetik durchgehen, sondern sie müssten neben den Cartoons und Bildergeschichten von Matt Groening, Kamagurka und Chester Brown bestehen. Mit anderen Worten: Die Kunstwelt hätte große Schwierigkeiten, mit benachbarten Disziplinen auf deren Terrain zu konkurrieren. Ihrer ewigen Amateurhaftigkeit ginge es radikal an den Kragen. Die Kunst bekommt ein Problem.

[1] „Das Nomadische spielt eine Rolle von Anfang an.“ Joseph Beuys im Interview mit Keto von Waberer. In: Joseph Beuys. Eine Innere Mongolei. Aust. Kat. Kestner-Gesellschaft Hannover. Hrsg. von Carl Haenlein. Hannover, 1990; S. 214
[2] Ob Beuys selbst sich seiner Komikträchtigkeit immer bewußt war, ist nicht ganz klar. Zumindest in seinen späten, unglücklichen Auftritten in der Realpolitik, als Leadsänger einer Wahlkampfkapelle der Grünen, schien er endgültig die Grenze zwischen verdeckter Kryptokomik und offensichtlicher unfreiwilliger Komik überschritten zu haben.
[3] Diese Grundregel, die man weltweit in Büchern mit Titeln wie „How To Write Stand Up Comedy“ lesen kann, hat sich in der deutschen Fernsehcomedy noch nicht herumgesprochen.

2. Teil:
Dieses Problem allerdings ist nicht ihre einzige Schwierigkeit. Tatsächlich funktionieren offene Kalauer oder Witze ganz anders als die Ironie des Deadpan. Witze kündigen Konflikte an, um sie dann im Gelächter zu umgehen. Die in der Erwartung des Konflikts entstandene Anspannung entlädt sich als Freude über den am Ende doch nicht stattfindenden Konflikt oder, freudianisch, als Lustgewinn durch ersparten Energieaufwand. Insofern kann der Witz zwar kritische Haltungen äußern, aber seine Ambivalenz und damit seine Dynamik endet mit der Pointe. Die Ironie als rein dialektisierendes Stilmittel funktioniert ähnlich. Zu Zeiten autoritärer Unterdrückung und entsprechend polarisierter Opposition haben beide eine wichtige Funktion, als oft einzige verfügbare Mittel, oppositionelle Inhalte zu äußern. Die Witzigkeit hängt dann weniger von der humortechnischen Qualität ab, als davon wie „unsagbar“ die implizierten Äußerungen sind. Aber das ist in der Hochkunst gegenwärtig nicht das Problem. In unserer permissiven und zynisch geschulten Kultur ist nahezu alles sagbar. Wenn man Komik weiterhin satirisch einsetzt, spielt man damit einer überkommenen Vorstellung schlichter Entweder-Oder-Opposition in die Hände, die einem notwendigen intersubjektiven Verständnis der Konflikte nicht gerecht wird. Ähnlich wie die politische Satire könnte die Kunst feststellen, daß der offene komische Angriff eine kurzlebige und bequeme Geste geworden ist, die unter den gegebenen Bedingungen eher affirmative als kritische Funktion hat. Mit anderen Worten: Die Kunst bekommt ein zweites Problem. Es ist ein Bedeutungsproblem. Im Grunde genommen hat sie es schon.Andere dagegen sind schon weiter. Die Kunst muss nur den Profis über die Schulter sehen, um das zu erkennen. Die Konsequenzen nämlich, die in der Satirebranche aus der neuen Harmlosigkeit der alten Mittel gezogen werden, sind breit gefächert. Während einige die Lage ignorieren und sich als institutionalisierte Dissenzdarsteller damit abgefunden haben, mit ihrem Publikum alt zu werden, suchen andere Unterschlupf in der professionalisierten Comedybranche, in der es aber oft weniger um Humor geht, als um Stimmungen, um eine Form kollektiver Lachwilligkeit, die an sich nicht komisch sein muß. Andere konzentrieren sich auf die Bereiche und Formen, in denen klassische Satire noch – oder wieder – funktioniert. Besonders in den USA, wo die Fernsehunterhaltung aufgrund des gewachsenen ökonomischen Drucks (der in seiner Wirkung auf die Programmstruktur der autoritären Zensur durchaus vergleichbar ist) kaum noch Raum für abweichende oder komplexe Positionen bietet, ist zu beobachten, dass Komiker wie John Stewart oder Steve Colbert sich zusehends die Aufgaben des kritischen Fernsehjournalismus zu eigen machen. Nach einer Umfrage des „Time Magazine“ im vergangenen Juli galt der Komiker und ausgebildete Psychologe Stewart mit seiner „Daily Show“ aus erfundenen Meldungen mit Abstand als die „most trusted News Source“ in den USA. Der Komiker Stewart geht dem Publikum als Journalismus-Kritiker durch. Dies ist eine faszinierende Entwicklung, aber komischer sind weder Colbert noch Stevens dadurch geworden. Ihre wachsende Bedeutung hat viel mehr mit dem Machtzuwachs von Fox News und einer Vielzahl anderer, christlich-konservativer Medienfiguren und –organe zu tun als mit einem geänderten Komikbegriff. Vielleicht macht die Erosion journalistischer Ethik und Vielfalt Phänomene wie die „Daily Show“ zum letzten Refugium unzensierter Kritik? Lachen als letzter Widerstand?Wo die Verhältnisse als so totalitär wahrgenommen werden, sind Doppelagenten die interessanteren Strategen. Es ist eine Minderheit unter den Satirikern, die versuchen, sich mit komplexen und unscharfen Strategien der Situation zu widersetzen. Sie agieren gewissermaßen als größte Fans der falschen Seite. Im Sommer 2002 machte die Satirezeitschrift „Titanic“ verschiedenen Mitgliedern des FIFA-Exekutivkommittees, Fußballfunktionären, die in Zürich tagten, um den Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2006 zu wählen, fingierte Bestechungsangebote, mit dem erklärten Ziel „die WM nach Deutschland zu holen“. Aus diesem anfangs eher dilettantisch angezettelten Streich wurde vor allem deshalb ein internationaler Skandal – und überaus erfolgreiche Medienaktion – weil er nicht als Kritik, sondern als übereifrige Affirmation deutscher Begehrlichkeiten — und als Bestätigung ausländischer Vorurteile — verstanden wurde.Versucht die zeitgenössische Kunst sich auf diesem Terrain, scheitert sie häufig an ihrer eigenen Ambition und verwechselt Komik und Provokation. Der dänische Künstler Henrik Plenge Jakobsen etwa war so ein Fall, als er Mitte der Neunziger Jahre dem staunenden Publikum eine „Lachgaskammer“ präsentierte. Der Titel war ein simples Wortspiel, dessen komische Energie, vor allem in der Tendenz des Witzes liegt: in der tabuisierten Verbindung von „Lachen“ und „Vergasen“. Später schlug Jakobsen die Arbeit als Beitrag zu einer Ausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück vor. Die Kuratoren lehnten den Vorschlag wie zu erwarten ab. Der Künstler rechnete es sich wohlmöglich als Provikationserfolg an. Davon abgesehen, dass das Projekt ein Exempel eher simpler Komik ist, bietet es ein gutes Beispiel für die Hilflosigkeit der klassischen Avantgardemethoden, in diesem Fall der Provokation. Wenn bestimmte Manöver einmal als Standards akzeptiert sind, haben Künstler, die sich ihrer naiv bedienen, der kunsthistorischen Neutralisierungsmaschine nichts mehr entgegenzusetzen. Sie machen Genrekunst. Trotz des Willens, um jeden Preis zu provozieren, bleibt die Lachgaskammer harm- und folgenlos. Sie ist als bemühtes Suchen nach verbleibenden Tabus (oder humortechnisch ausgedrückt: nach eingebauter Fallhöhe) durchschaubar. Man sieht daran vor allem, wie weit man in der Hochkunst gehen muss, um überhaupt noch jemanden zu verärgern. Gerade das ist das Problem aller Humortechniken in der Bildenden Kunst: Wie bei den einstudierten Witzchen der Musikantenstadl und Prime-Time-Unterhaltungsshows lacht man unter Gleichgesinnten. Nur noch der Verstoß gegen die guten Sitten kitzelt hier jemanden wach.Für diejenigen, die weiter an einer kritischen Wirkung der Kunst interessiert sind, geht es nun darum, weder nostalgischen Oppositionsmodellen nachzuhängen, noch sich als Nischenbetrieb in die Unterhaltungsindustrie einzugliedern. Dafür muss ein verändertes Verständnis der Kritik in Kauf genommen werden: als eine standortfreie, bewegliche, unverantwortliche und teleologisch indifferente Praxis, die ritualisierte politische Diskurse ebenso ausbootet wie die Redundanz der Unterhaltung. Künstler, die in diese Richtung denken, nehmen den Unterhaltungsauftrag in der Regel erst einmal enthusiastisch an, um ihn dann durch Mehrdeutigkeit oder Überaffirmation umzulenken oder in Ungeschicklichkeit versanden zu lassen. Mike Smiths Comedyshows gehören in diese Kategorie genauso wie die Stand-Up Comedy Neil Hamburgers und die Arbeiten des Konzeptualisten Stephen Prina. Sie alle halten am Ende etwas anderes als sie vorher versprochen haben und sind weder als affirmativ noch als kritisch zu fixieren. Das Komische in den Skulpturen Franz Wests läßt sich nicht als Witz decodieren und bleibt daher offen und vieldeutig. Die oft kritisierte Ironie, mit der Jeff Koons seine säkularen Paradiese vorführt, ist konsequent hermetisch, so daß man sich fragen muß, ob seine Arbeit nicht mit derselben Berechtigung als identisch und affirmativ lesbar ist.Diese Tendenz zur semantischen Renitenz ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit dem Rückzug ins auratisierte Hochkunstreservat. Sie findet nämlich auf vergleichbare Art in den Randbereichen der Massenunterhaltung statt. Seiner Zeit um fast 20 Jahre voraus, hat sich der hochbegnadete Komiker Andy Kaufman, der nach eigenem Bekunden „nie einen Witz erzählt hat“, schon in den 80er Jahren spektakulär und schizophren jeder interpretativen Einordnung widersetzt. Ein späteres Beispiel bot Wes Andersons Film „Rushmore“, der mit einem großartigen Sinn für Pointenverweigerung und verschlepptes Timing unentscheidbar zwischen Melodrama, Slapstick und Gesellschaftssatire pendelt. Zuletzt hatten Olli Dittrichs Live-Improvisationen in den Spartenprogrammen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine ähnliche Funktion für ein bescheidenes, aber nicht unbeachtliches Fernsehpublikum. Die Musik Daniel Johnstons und einige der geheimnisvolleren Nummern Helge Schneiders, sind meiner Meinung nach ebenfalls effektive Renitenzapparate. Für Renitenz aber ist die höfliche Ironie gegenseitigen Einverständnisses, wie der Kunstbetrieb sie belohnt, viel zu domestiziert. Es fehlt hier nicht nur an Bosheit, oft auch an Tragik oder an der Bereitschaft von einer Minute auf die andere ernst zu sein. Verstockt.Denn was diese Beispiele gemein haben, ist eine Haltung des Deadpan ohne Give-Away, einer Komik ohne verständnisheischendes Augenzwinkern. Allerdings dient Deadpan in diesem Zusammenhang nicht mehr, wie in früheren Zeiten, der Differenzierung der Hochkunst vom Pop, sondern er bietet beiden, der Hochkunst und der Unterhaltung, einen Ausweg aus der kritischen Irrelevanz. Die amerikanische Theoretikerin Candace Lang hat dieses Phänomen als „sustained irony as a philosophical position” beschrieben[4]. Sie unterscheidet zwischen Ironie als aufklärerisch eingesetzter rethorischer Technik und einer – traditionell als irrational und unverantwortlich verrufenen – permanent ironischen Haltung, die sie Humor nennt. Ein derartiger Humor widersetzt sich dauerhaft der interpretativen Bewältigung und bleibt unentscheidbar. Er ist komisch – allein schon weil er widersprüchliche Scripts aufruft – ohne witzig zu sein, d.h. ohne versöhnende Pointe. Die Reaktion des Publikums ist daher kein schallend-selbstsicheres, alles unter sich begrabendes Lachen. Sie ist auch nicht das wissende, vom Ellenbogenstoß begleitete Kichern einiger Eingeweihter, sondern ein zögerliches Lachen, das sich nicht vollkommen sicher sein kann, ob es hier etwas zu suchen hat und das jederzeit in andere Empfindungen umschlagen kann. Es entsteht ein offener interpretativer Fluß, der kulturelle Standards und Bewerungen effektiver aushebelt als der direkte satirische Angriff. Konventionelle Ironie gibt es mittlerweile in der Kunst und auch sonst überall mehr als genug. Humor im Sinne Langs wird dagegen immer noch dringend benötigt.[1] Für die Sloterdijk den Begriff des „aufgeklärten falschen Bewußtseins“ geprägt hat.
[2] Daß die meisten Titanic-Redakteure FDP-Mitglieder sind, mag – so möchte man jedenfalls hoffen – ähnlicher Logik entsprungen sein.
[3] Henrik Plenge Jakobsen : Laughing gas chamber, Copenhagen, August 1996. Jakobsen schildert sein Projekt jenseits aller historisch-provokativen Konnotationen als kunstinstitutionskritisches Projekt „in order to make it possible to get stoned within the institution. A very simple, a immaterial critique. I have to stress that Laughing gas chamber is not about transgression or transcendental state in any perspective, what so ever.“ Der Arbeit mit dem provokativen Ansatz gingen sogenannte „Gas actions“ u.a. in Paris voraus, bei denen lediglich Lachgas inhaliert wurde. Dieser performative Aspekt des Werkes, der meiner Meinung nach von der Komik des Titels eher negativ beeintrachtigt wird, steht hier allerdings nicht zur Diskussion.
[4] Lang, Candace. Irony/Humor: Critical Paradigms. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1988.

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