Beauty. Schönheit. Der Zauber des Alltags. Authentizität. Eine bessere Welt. Will man sich mit diesen „postironischen“ Hintergrundthemen auseinandersetzen, so stößt man schnell auf die Ambiguität, die Dialektik dahinter, welche in der letzten Hälfte des letzten Jahrhunderts zur Inflation der Ironie selber geführt hat.
Denn, mal ganz ehrlich, wer hier kann sagen was Schönheit ist? Versuchen wir mal eine naive, „ehrliche“ Herangehensweise, nur um sie mit Mut vor die Wand zu setzen.
Angefangen bei menschlicher Schönheit: Unbestreitbar wohl, dass wir schon naturgegeben eine Vorliebe für bestimmte Geischtsformen und Körperformen mitgegeben bekommen, wie viel kulturelle Prägung da auch immer mit enthalten sein mag, die Grundlage dafür liegt schon in unseren Genen. Als Mann, und weil es hier eindeutigere Forschungserkenntnisse und eindeutigere kulturelle Prägungen gibt, betrachte ich mal das „schöne Geschlecht“. Das weibliche Schönheitsideal setzt sich irgendwie aus dem Durchschnitt zusammen.
Genau das führte dann aber zu dem „All American“ Schönheitswahn, dessen Gegenthese man im Postironischen Manifest und dem Definitionsversuch lesen könnte. Hand aufs Herz, sind Miss Universe und all die Playmates wirklich schön?
Liest man die begeisterten Blogartikel über Menschen wie Antony Hegarty, merkt man: Genau das ist hier nicht gemeint.
Und dies lässt sich weiterspinnen auf jeden irgendwie gearteten künstlerischen Bereich: Mit Schönheit meinen wir wohl kaum das Glatte, Perfekte, Vollendete. Auch wenn das in Ausnahmefällen schön sein kann. Es wird also klar: „Das Wahre, Schöne und Gute“ existiert in dieser Reinform gar nicht. So wie es kein eindeutiges Wahr und Falsch gibt, kein eindeutiges Gut und Böse, gibt es auch kein eindeutiges Schön und Häßlich. Diese Erkenntnis ist die Ursache der Inflation der Ironie.
Aber was meinen wir, was suchen wir dann, wenn hier von Schönheit geschrieben und geredet wird?
Vielleicht den Bruch. Den Leberfleck auf der Wange. Die etwas zu stupsige oder hakige Nase.
Schönheit scheint doch gerade aus dem Bruch der eigenen Regeln zu bestehen, sie ist ein Paradox. Wir suchen die Quadratur des Kreises: Die Vertrautheit des Durchschnitts und gleichzeitig die überwältigende, herausragende Besonderheit.
Bei mir (und ich bin mir sicher bei einigen anderen hier genauso) wird das am Musikgeschmack besonders deutlich: Ich stehe auf perfekte, runde Pop-Perlen. Aber sie dürfen nicht zu poppig, nicht zu perfekt sein. Es muss irgendwo etwas „unpoppiges“ sein, was mich dann berührt. Antony Hegarty ist da wieder ein gutes Beispiel. Die Band Rilo Kiley ist ein weiteres Beispiel, dass diesen Mechanismus auch auf Ebene der „offiziellen“ Rezeption klar macht: Erhielt die Band für das Album „More Adventurous“ noch überschwängliches Lob für den Mut zu Pathos und Kitsch, war „Under the Blacklight“ den Kritikern plötzlich zu glatt, rund und poppig. Manche Leute nennen diesen Unterschied Indie vs. Mainstream, und benutzen es als Vorwurf. [youtube 9eHiyOYAn08]
Genau dieser Vorwurf kommt dann implizit auch wieder zum Tragen wenn es um Hegarty und Grönemeyer, oder nur um Grönemeyer an sich geht. Denn bei Grönemeyer hat sich für die meisten Ohren wohl in den zwanzig bis dreissig Jahren Chartpräsenz alles ungewohnte, alles außergewöhnliche abgeschliffen. Vielleicht sind das nur Hörgewohnheiten? Vielleicht ist Hegarty wirklich erstaunt, weil er Grönemeyer grade erst kennengelernt hat, ihn unvoreingenommen hört?
Dieses anscheinend so unbedingte Verlangen nach dem Bruch, widerspricht es nicht irgendwie dem postironischen Gedanken? Denn, ist das noch „direkt und ehrlich“, mit Grönemeyer vielleicht nur nicht klarzukommen weil es Grönemeyer ist? Und vielleicht Silbermonds „Symphonie“ (ein großartiger Song!) abzulehnen weil er einfach bist aufs i-Tüpfelchen perfektionistisch und stromlinienförmig produziert wurde? Authentisch ist der Bruch vielleicht, wenn man davon ausgeht das Perfektion etwas unnatürliches sei. Aber ist sie das?
Was macht ehrliche Schönheit aus? Denn, was bei Kunst doch oft geschieht, ist: in etwas rundes, schönes, glattes, vielleicht sogar perfektes, kleine Macken, kleine Widerhaken einzubauen, an denen unser Empfinden irgendwie hängen bleibt. Eine Besonderheit die uns innehalten lässt, einen Bruch des Gewohnten. Aber ist das nicht irgendwie unehrlich: Auf der Suche nach Schönheit das Perfekte nicht erreichen zu wollen, es vielleicht sogar bewusst zu zerstören?
Andererseits: Was ist eigentlich mit dem nicht-schönen? Mit dem einfach irgendwie hässlichen, nicht ironisch verzerrt, sondern „ehrlich hässlich“. Liest man das Postironische Manifest und den Definitionsversuch, sollte man denken dass es auch hierfür einen Raum gibt, in der postironischen Gedankenwelt. Antony Hegarty lässt sich auch hier wieder als Beispiel bringen, denn ganz ehrlich: Eine Augenweide ist er nicht. Und trotzdem und grade dadurch so beeindruckend. Es ist nicht nur, dass hier die Schönheit gebrochen wird, sondern auch umgekehrt: Das was da plötzlich aus dem Mund dieses Wesens kommt, wie es sich aufführt und verhält, bricht nicht nur jede Regel der Schönheit, sondern auch jede der Hässlichkeit. Man mag ihn nicht obwohl, sondern weil er so ist wie er ist.
Vor einigen Jahren wurde in Hamburg aus Protest gegen einen Italienischen „Club der Schönen“ der „Club der Hässlichen“ gegründet. Das Manifest dieses Clubs stellt sich gegen das Primat der Schönheit, das ganze Konzept wirkt dabei auf mich seltsam Postironisch: Über die eigenen Macken werden keine Witze mehr gerissen, sie werden nicht mehr entschuldigt. Dabei geht es keinesfalls „gegen“ Schönheit. Im Gegenteil: Es wird klar, dass schön und hässlich eigentlich keine echten Gegensätze mehr sind, sondern auf merkwürdige Art Hand in Hand gehen.
Vielleicht ist aber gerade der Bruch, und die Gegenseitige Durchdringung von Schönheit und nicht-Schönheit das Postironische: Der Zauber des Alltags ist das Fehlerhafte, Unerwartete. Die Akzeptanz dafür, dass „Das Wahre, Schöne und Gute“ nicht eindeutig ist, vielleicht gar nicht existiert, sorgt plötzlich dafür dass man es doch suchen kann, es finden kann, anstatt Witze darüber zu machen. Und trotzdem hat man keine Ahnung wie es aussieht, und erkennt es für sich selber wenn man es sieht. Und vielleicht kann Schönheit trotzdem ohne jeden Bruch bestehen – und schön sein. Oder auch nicht.