Smells like Postirony – Lenas Satellit

Beim Eurovision Song Contest (der für mich immer noch „Grand Prix“ heisst) hat das Gute gesiegt. Das Gute kommt ausgerechnet aus Hannover, der niedersächsischen Landeshauptstadt, die gemeinhin als unprätentiös, langweilig und hoffnungslos provinziell verschrien ist (zu Recht übrigens, und dieses Image wird von den Hannoveranern durchaus liebevoll gepflegt). Und dass das Gute Lena Meyer-Landrut heisst, ist für die „Zeit“ auch kein Zufall: Das riecht nach deutscher Bodenständigkeit.
Die Wörter, die in den Medien im Zusammenhang mit Lena immer wieder fallen sind Authentizität und Natürlichkeit. Ungekünstelt sei sie, frisch, unverdorben, selbstironisch, einfach lovely. Wie einstmals die letzte deutsche Grand-Prix-Gewinnerin Nicole sang: „Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt.“
Keine Opernstimme, keine grosse Bühnenshow, keine aufwändigen Kostüme, kein Chichi. Just Love.

Produziert und promoted wurde Lena ausgerechnet von Oberzyniker Stefan Raab („Maschendrahtzaun“), der in den letzten Jahren immer wieder mit ironisischen Persiflage-Auftritten (Gildo Horn, oder „Waddehaddeduddeda“ ) aufgefallen war, um das bierernste Image der Contests aufzubrechen und das biedere Schlagerpublikum zu provozieren. Und er beweist auch diesmal offensichtlich ein exzellentes Näschen für den Zeitgeist. Schon letztes Jahr hatte ja so ein postironisch/selbstironischer Titel gewonnen  ein Märchen: die Sehnsucht nach der unschuldigen ersten Liebe.

Geradezu gegensätzliche Reaktionen löste vor nicht allzu langer Zeit ein anderes deutsches Mädel aus, dass es ganz nach oben schaffte: Helene Hegemann, deren Buch „Axolotl Roadkill“ so wahnsinnig hochgehyped wurde. Und anschliessend von den älteren Herrschaften aus den Feuilletons hingerichtet, eben weil man ihr mangelnde Authentizität vorwarf. (Ich möchte die entsprechenden Herren und Damen dringend bitten, doch mal ganz tief in ihren eigenen Schubladen graben, was sie mit 17 für literarische Ergüsse verfertigt haben.)

Darüber, wie authentisch Lena wirklich ist, und wo genau die Grenze zwischen inszenierter Authentizität und authentischer Authentizität im Bühnengewerbe und der Medienwirklichkeit unserer Zeit liegt, liesse sich wohl trefflich streiten (gerne auch hier im Blog). Aber die Art und Weise, wie Lena praktisch europaweit auf offene Ohren bei Publikum, Jurys und Medien stösst, zeigt in meinen Augen einen mächtigen Überdruss am kommerziell-medialen, auf Äusserlichkeiten fokussierten, kalkuliert vorproduzierten Abziehbild und eine ganz grosse Sehnsucht nach einer neuen Lenahaftigkeit.

Postironie als Beitrag zur Landesverteidigung?

Lesenswerter Artikel in der FAZ: Ironieforschung: Rhetorik als Beitrag zur Landesverteidigung

„Der Text war ursprünglich als Beitrag zu einer Ausschreibung des Rüstungs- und Technologiekonzerns Lockheed Martin eingereicht worden. Der drittgrößte Militärdienstleister der Welt hält an akademischen Einrichtungen regelmäßig nach vermarktungsfähigen Forschungsideen Ausschau. (…)

Graham Burnett, Professor für Geschichte, und Literaturdozent Jeffrey Dolven (…) holten daher in ihrem 750 Wörter langen Ausschreibungsbeitrag eine der schönsten Referenzen der Geisteswissenschaften hervor: die Erforschung des friedensstiftenden Potentials der Sprache. Anstatt zur weiteren Technologisierung der Konfliktaustragung beizutragen, wollten sie die von Lockheed Martin gestellten Mittel in die Verbesserung der Kommunikation investieren. Und da die Ironie Konfliktpotential für Verständigung birgt, schlugen sie die wissenschaftliche Untersuchung der Ironie vor. (…)

„Ironie hat seitens der Forschung noch nicht ausreichend Aufmerksamkeit bekommen“, (…)

Auch Burnett und Dolven laben sich an der „Unendlichkeit der Möglichkeiten“ mit ihrer Forderung nach der Entwicklung sogenannter Irony Kits (Ironie-Sets): Die Wissenschaftler wollen mit ihrer Hilfe den Ironiker anhand von Speichelproben auf frischer Tat überführen.“

Da haben wir es schwarz auf weiss: Postironie ist wichtig für den Weltfrieden. 😉

Und was ist dann Postironie?

Wir leben in einer Kultur der Fragmentierung und der Copy-and-Paste-Identitäten, der medialen Vermittlung und massenhaften Reproduzierbarkeit von einfach allem. Alles ist nur noch Zitat eines Zitats. Wir müssen uns selber zu einer Marke und Ware machen und unsere Haut zu freiem Markte tragen und wehe dem, der sich nicht rechnet.

Es scheint, uns ist die Eigentlichkeit verloren gegangen.
Wir können uns nicht mehr authentisch zu irgend etwas verhalten, weil wir, entfremdet vom direkten Erleben, diesen ganzen medienkulturellen Rattenschwanz immer schon mitzudenken. Ich glaube, wir spüren diese Entfremdung von der Eigentlichkeit und antworten darauf durch die sprachliche Entfremdung: durch die uneigentliche Rede der Ironie.

Wir sind umzingelt von „Erlebniswelten“, „Einkaufsparadiesen“, „Spassfaktoren“, „Sensationen“ und „Megaevents“, die uns Konsumenten Gefühle, die jetzt Emotionen heissen, versprechen und Sinnleere verkaufen. (Wie viele Dinge siehst du jetzt gerade um dich herum und an dir, die keine beliebig reproduzierbare Massenware sind?)
Wir finden einen Sonnenuntergang kitschig, weil er aussieht wie auf einer Postkarte. Wir haben alle eine Meinung darüber, wer Schuld hat an der Finanzkrise, aber was wissen wir eigentlich wirklich darüber, das wir nicht durch bestimmte Medien gefiltert und gefärbt erfahren haben? Haben wir irgendeine Chance, die Informationen überhaupt zu überprüfen? Und wie nah ist uns der Nahe Osten wirklich? Haben wir auch nur einen Schimmer davon, wie es sich anfühlt, da zu leben?

Und wer bestimmt eigentlich das, was wir zu wissen glauben?
Die eine unanzweifelbare Wahrheit gibt es nicht mehr, weil es die eine unanzweifelbare Autorität nicht mehr gibt: Gott ist tot, das Land demokratisch, die Ethnien und Kulturebenen gemischt und das Individuum seit Freud und der neueren Hirnforschung nicht mehr Herr seiner selbst.
Wer mag da noch Richter sein darüber, was wahr ist und was falsch, was schön und was hässlich, was gut und was böse, wofür man ins Gefängnis kommt und wofür in den Himmel?

Mit anderen Worten: Wer bestimmt unsere Werte?
Die Gesetze, die Kirche, die Eltern, die Bildungseinrichtungen, die Medien, die Werbung, die Philosophen, die Politiker, die Banker? Wer hat die Macht und das Geld, seine Wahrheit als allgemeingültig durchzusetzen?
Und welche Zwecke verfolgen die damit?

1. In Alex Shakars Roman „The Savage Girl“ wird das Konzept der Postironie so hergeleitet:
Früher, als noch klar war, was Wahrheit ist und was Lüge, konnte man entweder direkt das sagen, was man meint oder man konnte ironisch sein.
Aber diese Wahrheit gibt es nicht mehr, es gibt nur noch Diskurse.
Wenn die Wahrheit so relativ geworden ist, dass alles gleichwahr oder gleichfalsch ist, dann kann man auch nicht mehr unterscheiden, was ironisch gemeint ist und was ernst. Wir sind also post-ironisch.

Mehr Freiheit bedeutet auch: mehr Ungewissheit. Wenn es keine Sicherheit durch eine unhinterfragbare Wahrheit und einen vorgegebenen Sinn mehr gibt, schafft das Ängste. Und gegen Ängste hilft das Gefühl, das Chaos durch irgendeine Art von Kontrolle beeinflussen zu können, auch wenn es nur eine Illusion ist. Das funktioniert sogar, wenn man sich bewusst ist, dass es nur eine Illusion ist: Der Glaube an eine persönlich verantwortliche höhere Macht oder ein vorbestimmtes Schicksal, der Glaube an den Staat oder die Statistik, der Glaube an Experten, Finanz-Rating-Agenturen oder Horoskope, an Heilige oder Maskottchen, Rituale, Zwangshandlungen, Wahnvorstellungen.

Wer die Ängste und Sehnsüchte  (fears and desires) der Menschen instrumentalisieren kann, so Shakars These, der hat die Macht über sie und kann sie manipulieren und für seine Zwecke missbrauchen.
Das ist natürlich ein höchst zynischer Ansatz.
(Die Konsequenzen dieses Verständnisses des Konzepts Postironie werden im Roman an verschiedenen Figuren durchgespielt.)

2. „If you say one thing and you mean nothing.“ Das wäre das, was ich den Total-Bullshit-Ansatz nennen würde.
Kritikpunkt: Nihilismus macht politisch handlungsunfähig. Mit einem Ansatz, der jede Sinnhaftigkeit ausschliesst und damit auch die ökonomischen und machtpolitischen Entstehungsbedingungen der Diskurse ausblendet, lassen sich diese weder kritisch durchleuchten noch gar verändern.
Menschen brauchen aber, um leben zu können, wenn nicht natur- oder gottgegebene, dann aber doch kulturell entstandene und tradierte, also intersubjektive Werte- und Sinnsysteme.

3. Postironie als Anti-Ironie: Genau das sagen, was man meint.
Das wäre eine Gegenbewegung, die diese intersubjektiven Werte- und Sinnsysteme zu rehabilitieren versucht. Es ist eben nicht wurscht, was wir als richtig oder falsch ansehen. Unser Weltbild bestimmt, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir in der Welt handeln. Und unser Handeln hat Konsequenzen. Deshalb haben wir die Verantwortung für die Wirkung unseres Handelns. In diesem Sinne, und ich glaube, das ist der Sinn, den Com&Com im Sinn haben, ist Postironie eine durchaus moralische Angelegenheit, die weit über die ästhetische Ebene hinaus und direkt in die Intimsphäre der persönlichen Lebensüberzeugungen hineingeht.

Mit einer Sehnsucht nach Echtheit, Ganzheit, Unmittelbarkeit, Natürlichkeit. Wahrheit. (Anstelle von „Wahrheit“ würde ich allerdings wirklich den Begriff „Wahrhaftigkeit“ oder „Aufrichtigkeit“ vorziehen, weil die „Wahrheit“ ein Maulesel ist, der sich noch vor jeden Karren hat spannen lassen.), neue Communities, neue Mythen, eine Öffnung für neue ernsthafte Wertediskussionen.
Das Ziel wäre wohl eine neugefundene Identität mit sich selbst. Keine naive mehr, sondern nunmehr eine bewusste.
Und sie sind damit beileibe nicht die Ersten. Und ganz sicher nicht die einzigen.

’68 – ’89 – 2009?
Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, dass es alle 20 Jahre eine Krise gibt, die eine Sehnsucht nach einer neuen Geisteshaltung ins Rollen bringt.

– 1968: Vietnamkrieg, Wirtschaftskrise, Wertekrise  -> Studentenproteste, Absage an autoritäre und repressive Strukturen, sexuelle Revolution, Summer of Love, Woodstock, parallel mit neuen Medien, neuer Musik, neuer Mode, neuen Drogen.

– 1989: in Russland: Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Neugestaltung) -> Kollaps des Kommunismus im Osten Europas, Demonstrationen gegen die Diktatur in der DDR, die zum Mauerfall und zum Ende der DDR  führen. Im selben Sommer in Westberlin: die erste Loveparade als Demonstration für und von Lebensfreude, Frieden, Liebe, Gemeinschaft und Respekt (PLUR). Raving Society, Entwicklung und Demokratisierung neuer Medien, Beginn der digitalen Vernetzungskultur.

– 2008/9: Lehman-Pleite -> Finanzkrise -> Wirtschaftskrise -> Kritik am globalen Kapitalismus. Unsichere Jobs, gesellschaftliche Umbrüche. Werte-Diskussion: Infragestellung unserer konsumorientierten Lebensweise, Neubewertung der kriegerischen Reaktionen auf den Elftenseptember. Obama. Change. Digital social Networks, Web 2.0, Piraten-Partei, LOHAS, LOVOS;…
(So ein 3-Generationen-Gespräch zum Thema fände ich interessant!)

Es wäre also gut möglich (und sehr begrüssenswert!), wenn auch diese Krise eine neue Kultur hervorbringen würde. Wie genau die aussehen wird ist schwer vorauszusagen. Aber das haben die 100 Leute, die vor 20 Jahren hinter einem Lastwagen mit Bummbumm-Musik durch Berlin hopsten, sicher auch nicht geahnt.

Diejenigen, die derzeit die Macht und das Geld hätten, um das System zu ändern, haben naturgemäss kein Interesse daran, ein System zu ändern, das ihnen Macht und Geld schenkt.
Sie werden sich zu wehren wissen.
Um jeden Preis.
Und mit allen Mitteln.

Was ist Ironie?

Lieber Johannes,

vielen Dank für die Einladung in euren Blog! Gerne werde ich versuchen, etwas zum Thema Postironie beizutragen.
Da ich von der sprachwissenschaftlichen Seite herkomme, erscheint es mir nützlich, einmal eine kleine Exploration der Begriffe zu versuchen. Es erleichtert die Diskussion ungemein, wenn man selber und der andere zumindest so ungefähr weiss, was man meint, wenn man ein Wort benutzt.
Es beugt Missverständnissen und Schwammigkeiten vor.

Was ist Ironie?
Das ist eigentlich simpel:
Ironie ist ein rhetorisches Stilmittel, bei dem man das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Bei diesem Verfahren der uneigentlichen Rede wird die eigentliche Aussage erst im Kopf des Empfängers rekonstruiert. Und – das unterscheidet die Ironie von der Lüge, die den Hörer täuschen soll – es ist die Intention des Sprechers, dass die Aussage vom Rezipienten auch als ironisch erkannt werden soll.
Erkannt werden durch bestimmte Ironiesignale:  Betonung, Mimik, Anführungszeichen oder Emoticons. Ein inhaltliches Ironiesignal wäre ein offensichtlicher Widerspruch zu der erwartbaren Aussage oder die offenkundige Unsinnigkeit der Aussage, wenn wörtlich genommen.
(Um die Ironie (als Stilmittel) vom Sarkasmus (als Redeweise) und Zynismus (als Geisteshaltung) zu unterscheiden, ist bereits ein Blick auf Wikipedia hilfreich.)

Warum ist Ironie eigentlich lustig?
Das scheint so zu funktionieren, dass wir im Gehirn eine Instanz haben, die eine Plausibilitätsprüfung des Wahrgenommenen durchführt. Also einen Abgleich des Erwartbaren und des tatsächlich Wahrgenommenen. Oft schon in Antizipation, beispielsweise während wir einen Witz erzählen hören. Tritt nun nicht das Erwartete ein sondern eine Brechung dieser Erwartung, die eine absurde Vorstellung evoziert, löst diese „Fehlermeldung“, bzw. die Überwindung dieser Diskrepanz durch Erkennen der Ironie einen Lachreiz aus. Aber das gehört eigentlich schon zum Arbeitsgebiet der Hirnforscher.

In welchen Situationen und zu welchen Zwecken wird Ironie verwendet?
Ironie ist beileibe keine Erfindung der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Historisch hatte die Satire schon immer die Lizenz, die Mächtigen und Eitlen zu kritisieren und mit der Narrenkappe der Ironie auf dem Kopf das zu sagen, womit man diesen ansonsten ernsthaft riskiert hätte. Und mehr Spass als eine trockene Moralpredigt macht es allemal. Ironie kann ein wunderbares Mittel sein, um aufgeblasene Luftballons anzupieksen und Popanzen zu entlarven und der Lächerlichkeit preiszugeben, die ihnen gebührt. (Was die subversiven Funktionen der Ironie angeht, sind Com&Com ja Experten. 🙂 )

Aber Ironie taugt aber nicht nur als Waffe.
Selbstironie ermöglicht eine Distanzierung, eine Relativierung der eigenen Position, letztlich Toleranz. Indem man Ambiguität zulässt und es vermeidet, sich selbst eindeutig zu positionieren und in Konfrontationsstellung zu gehen, lässt man seinem Gegenüber, das vielleicht ganz anderer Meinung ist als man selber, Raum. (Ist das ein Vorurteil, dass diese Form der höflichen Ironie in der Schweiz verbreiteter ist als in Deutschland oder ist das tatsächlich ein spürbarer Kulturunterschied?) Auch für den Sprecher kann die Ambivalenz der Ironie eine Schutzschild-Funktion erfüllen – nicht in allen Situationen ist es ratsam, das Herz auf der Zunge zu tragen. Ironie kann Peinlichkeiten mildern, Missgeschicke und unangenehme Situationen entschärfen, helfen, tragische Situationen, die wir nicht ändern können zu ertragen (Galgenhumor).

Diese ausgesprochen unvollständige Liste mag zeigen: Es gibt durchaus gute Gründe dafür, Ironie zu verwenden.

überlegungen zum manifest

grundsätzlich denke ich, dass kunst ohne ironie nicht auskommt. ironie bedeutet für mich persönlich distanz, aber eine virtuose distanz. ironie resultiert aus erkenntnis und der erkenntnis geht voraus, dass man etwas erfahren hat, dass die eigene menschliche existenz berührt, bewegt oder erschüttert hat, folglich eine undistanzierte erfahrung, die nachvollzogen werden will, damit man sie versteht, damit man sie auch einem betrachter verständlich machen kann. ironie ist eine methode mit der man mehrdeutigkeit möglich macht. jenseits der ironie gibt es keine bewegung, keinen austausch. das kommt einer art von regression gleich. wo dann das sinnvolle in der kunst bleibt? aber das ist auch nur meine meinung.
wenn ironie allerdings nicht mehr als gabe, sondern als fluch aufgefasst wird, wenn ironie zur lebensform wird, dann ist man wohl von allem und jedem weit weg und isoliert.
ein manifest wird aus einer not heraus verfasst. denke ich zumindest. das hier ist ja auch offensichtlich das erste von weiteren manifesti, die noch folgen werden. ich bin gespannt, was das wird. wir müssen ja alle schauen, wie wir durch die nacht kommen. so denke ich gerade.
klar ist natürlich auch, das jenseits von not etc. der gegenwärtige trend natürlich in richtung reue, mea culpa, was ist wesentlich und diese dinge geht. vielleicht ist das ja auch für euch, die ihr darauf gezwungen seid, trends zu erkennen und zu bedienen, wesentlich.
schön wäre es allerdings, wenn postirony die möglichkeit eröffnen würde, selber trends zu generieren, einfach die themen zu verfolgen, die euch interessieren, statt ewig erwartungen seitens der rezipienten entsprechen zu müssen. ich kann mir vorstellen, dass das lästig werden kann, immer spotten, provozieren oder brilliant zu müssen. daraus entsteht bestimmt ein gefühl von festgelegtsein und darunter leidet natürlich die künstlerische freiheit.
auch kann ich mir vorstellen, dass sowohl die kunstproduktion, wie auch die präsentation bei weitem nicht den grad an befriedigung erfährt, den sie haben könnte, müsste man nicht ständig so sein, wie die öffentlichkeit einen haben will.
ich bin folglich gespannt, was das für neue kunstprojekte sein werden, die im zeichen der postironie stehen. meinen ironischen blick darauf kann ich mir wahrscheinlich nicht sparen. ich glaube aber nicht, dass mich dieser blick behindert oder einschränkt. wie bereits gesagt empfinde ich ironie als eine methode bestimmte dinge, wie kunst z.b. für mich zu dechiffrieren. ausserdem ist ironie nie feindselig oder bitter. das wäre dann eher sarcasm oder gar cynicism.

Rainbow Colors Inspired

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@DoppelM hatte es gestern getwittert: Eine Sammlung von über 80 „Rainbow Colors Inpired Photos and Images. Vielen Dank!!

A great author once describes a Rainbow as “one of the most spectacular light shows observed on earth” and we also feel the same…

Jenseits der Ironie (von Wolfram Weimer)

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Jenseits der Ironie (first pubished in Cicero – Magazin für politische Kultur)

Das ironische Zeitalter geht zu Ende. Zwanzig Jahre hat es gedauert und jene Nische der Weltgeschichte ausgefüllt, die sich mit dem Fall der Mauer 1989 auftat und mit der Weltwirtschaftskrise 2009 wieder geschlossen hat. In dieser Nische bekam unsere Gesellschaft die Kontur einer TV-Dschungelshow – ihre Grundmetapher war das Spiel. In dieser Nische begegneten uns Gestalten wie Dieter Bohlen und die Simpsons. Man musste permanent „Jetzt mal im Ernst“ sagen, die Jugend wählte „echt“ und „cool“ zu Signaturvokabeln, weil alles unecht und lau geworden war. Selbst die Politik verstieg sich in Sprach- und Sachironie von „Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzen“.

Die Optimisten zogen im gut gelaunten Globalisierungs-Get-Together dieser Nische Haltungen wie Krawatten aus und schalteten (Kommunikation ersetzte schließlich Kontingenz) Handys wie Laptops ein. Die Weltwirtschaft schien ein spielerisches Monopoly. Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ war da. Das Fiktive und das Reale vertauschten sich, so dass vor lauter Vorstellung gar kein Wille mehr wirkte. Es war sogar egal. Hauptsache, die Stimmung blieb gut und Deutschland hatte einen Superstar.

Für Pessimisten war schon die schwindende biologische Kraft ein Indiz des Zerfalls. Die Europäer wollten sich einfach nicht mehr fortpflanzen. Man hatte keine Erben und keine Hinterlassenschaft, von Mission ganz zu schweigen. Denn der Schlüssel zu sich selbst schien versunken in einem Meer der Opportunitäten. Europa mutierte zum Disneyland seiner selbst. Die Ironie war bei alledem kein Trost der Ohnmächtigen, wie Herbert Marcuse einst wähnte. Sie wurde zum Schlüssel zur Selbstentmachtung. Das ironische Zeitalter sagte zu allem Ja und Amen – falls man noch wusste, was Amen hieß. Denn die Religion war erkaltet, die Kultur räusperte sich nur noch kühl, kommerziell und krächzend, und selbst die Politik spielte bloß ein Scrabble des Machbaren.

Dass die ironische Welt nun durch ein unwirkliches Spekulationsspiel mit Nullzinsgeldern an ihr Ende gekommen ist, wirkt wie ein ultimativer Witz. Subprime-Kredite lesen sich wie die letzten Visitenkarten einer gescheiterten Ironie.

Nun aber wird es buchstäblich ernst. Schon nach dem 11. September 2001 ahnte man, dass es viele gibt, die unser ironisches Spiel partout nicht mitspielen wollten. Die Finanzkrise ist der zweite Schlag der Ernsthaftigkeit. Denn jetzt hat es der ironische Westen nicht nur zu tun mit dem religiösen Furor der islamischen Welt, sondern auch dem Ehrgeiz aller anderen Aufsteiger. Ihre Kultur des Nominalismus steht unserer Ironie schroff entgegen. Und wir müssen uns entscheiden. Denn das Angebot der neuen Zeit ist bereits da: Es heißt Oligarchismus.

Der neue Oligarchismus kommt in vielen Gewändern daher, und er wird uns nicht nur ökonomisch herausfordern, sondern auch weltanschaulich. Ob es sich um eine parteiliche Oligarchie (China), eine geheimdienstliche Oligarchie (Russland) oder eine Clan-Oligarchie (Arabien) handelt, die Muster sind ähnlich. Immer entscheiden kleine, halbstaatliche Zirkel über die großen Machtinstrumente der Gesellschaft.

Unsere Überzeugung, dass Demokratie und Marktwirtschaft Zwillinge seien, dass offene Gesellschaften den Zwangsgesellschaften überlegen seien, ist erschüttert. Seit Jahren warten wir auf den Kollaps Chinas, auf den demokratischen Aufbruch der russischen Mittelschicht, auf die Revolutionen in Arabien. Doch nichts geschieht. Stattdessen zerfällt Amerikas Macht. Allen drei Varianten des Oligarchismus gelingt es hingegen, wirtschaftlichen Erfolg mit autoritärer Politik zu verbinden und damit eine Legitimation zu schaffen, die sich vom ironischen Westen durch Stabilität unterscheidet. Der Instrumentenkasten des neuen Oligarchismus ist stets staatskapitalistischer Natur. Und den kopieren wir im Westen bereits.

Der nächste Gezeitenwechsel vollzieht sich daher nicht nach europäischen Links-Rechts-Mustern, sondern nach einem globalen Systemwettbewerb autoritärer und liberaler Gesellschaftsordnungen. Die derzeitige Neigung in Europa, in der Krise die Rückverstaatlichung zu suchen, birgt eine große Gefahr. Denn damit geht Europa freiwillig einen Schritt in den Staatsfondsoligarchismus. Konzentrierte Macht in den Staatshänden Weniger wird nur mit Demokratieverlusten einhergehen können.

Das demokratische Europa aber ist gerade dadurch entstanden, dass es die Macht so weit wie möglich geteilt und in die Hände der Bürger gelegt hat. Systematische Verstaatlichungen würden die Umkehrung dieses Prozesses bedeuten, denn damit würden Gewalten konzentriert und eben nicht mehr geteilt. Statt der freien Gesellschaften entstünden oligarchische, halbstaatliche Cliquen- und Parteiennetzwerke.

Kurzum: Der ironisch gebrochene Westen ist nicht nur wirtschaftlich angeschlagen. Sein Traditionsspeicher leckt, aber so schwach, dass er nun oligarchischen Verlockungen verfällt, ist er hoffentlich noch nicht. Im Ernst nicht.

Wolfram Weimer